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Der Begriff ‘Amateurtheater’ jagt so manchem Musical-Fan einen kalten Schauer über den Rücken. Das Theater unter den Kuppeln allerdings wartet nicht nur mit einer für Freilichtbühnen bemerkenswerten Location und Technik auf, sondern macht seinem Motto “Theater aus Leidenschaft” alle Ehre. Diese Leidenschaft auf, vor und hinter der Bühne sucht seinesgleichen und konkurriert mit sogenannten ‘professionellen’ Inszenierungen; sie lässt sogar die Grenzen gänzlich verschwinden. Das, was das TUDK mit Frank Wildhorns “Artus – Excalibur” in der Sommer-Saison 2022 präsentiert, stellt so manche Profiproduktion in den Schatten.
Jeder kennt den einen oder anderen Aspekt des sich über die Jahrhunderte stets wandelnden Artus-Narratives. Zahllose Romane, Filme und Theaterstücke haben sich des Stoffes angenommen und die Handlung verändert, Figuren umcharakterisiert oder um Elemente – zum Beispiel die Suche nach dem heiligen Gral – ergänzt. Im Fokus von Wildhorns Musical steht, mit einigen größeren Abweichungen vom Ursprungsstoff, allerdings die dramatische Anfangsgeschichte des Mythos: Artus’ Weg zum Thron, die Gründung seiner berühmten Tafelrunde, die Dreiecksbeziehung zwischen Artus, seiner Frau Lady Guinevere und seinem Kindheitsfreund Ritter Lancelot, sowie der Konflikt mit der machtgierigen Zauberin Morgana.
Ein dramatisches Musical-Spektakel entspinnt sich auf der Bühne, das durch die souveräne Regie von Semjon E. Dolmetsch getragen wird. Die packende und düstere Story weiß er mit professionell choreographierten Kampfszenen zu spicken, die überzeugend und actionreich vom Ensemble ausgeübt werden. Seine Inszenierung des etwas lückenhaften Buches von Ivan Menchell schafft einen roten Faden mit Spannung und Dramatik und orientiert sich an der St. Gallener Fassung. Die einzelnen Bereiche von Requisite, Kostüme, Bühne sowie Musik, Licht und Ton greifen so herausragend ineinander, dass man dieser Produktion den Laienstatus eigentlich schon aberkennen müsste. Die Professionalität und Ausstattung dieser Inszenierung suchen ihresgleichen und erinnert an Tecklenburger Glanzproduktionen oder das sehr erfolgreiche “Dracula” auf der Ulmer Wilhelmsburg im vorigen Jahr. Ein großes Spektakel!
Die Kostüme und Waffen, die zum Einsatz kommen, wirken zu einem großen Teil sehr hochwertig und authentisch – wie aus dem Mittelalter entnommen. Die Darsteller sind durch Haar- und Make-Up optimal in Szene gesetzt. Viele Charaktere aus dem fast 40-köpfigen Ensemble werden mit kleinen Accessoires und besonderen Applikationen individuell und liebevoll herausgestellt. Das Schlüsselwort “liebevoll” trifft auch auf die Gestaltung des handgemachten Bühnenbildes von Andrea Werthwein und Team zu. Ein großes Schloss, das auf 3 Höhenebenen bespielt werden kann und mittels verschiebbaren Wänden auch einen Innenraum preisgibt, ist für eine Freilichtproduktion sehr aufwändig. Ein weiteres kunstvolles Element ist der große Fels im Zentrum der Bühne, in dem das Schwert Excalibur steckt. Allein das Besteigen des riesigen Steins durch Merlin und Artus verleiht diesem Requisit Opulenz. Zudem fungiert es auch als drehbares Bühnenelement, an dessen Rückseite sich ein Kirchenaltar verbirgt, der für Morganas Klosterszenen und als Beerdigungskapelle zum Einsatz kommt. Die Bühne kann von den Seiten, von hinten, von oben und unten durch die Darsteller betreten werden, sodass dynamische und große Szenen entstehen können. Der Zuschauerraum wird immer wieder für das Erscheinen und Abgänge verschiedener Figuren genutzt, was das ohnehin beeindruckende Zuschauererlebnis um eine immersive Komponente erweitert.
Immersiv lassen auch Ton- und Lichtdesign von Dave Prikrill, Dennis Heise, Marc Schleicher und Alexander Konz diese Produktion wirken: Der Sound ist optimal abgemischt und füllt den ganzen Zuschauerraum wie eine Dolby-Surround-Anlage aus einem Kino, trotz berüchtigter Open-Air-Akustik. Musik und Gesang sind bestens austariert. Nur in einigen Szenen werden Darsteller zu spät mit ihren Mikrofonen zugeschaltet und der umgebende Fluglärm des nahen Stuttgarter Flughafens hätte mit einem mutigen Griff an den Soundregler noch besser übertönt werden können. Gänzlich ohne Einwände kann das Lichtdesign gelobt werden. Durch abwechslungsreiche Installationen können nicht nur unterschiedliche Szenen und Tageszeiten simuliert, sondern auch starke Emotionen unterstrichen werden: stimmig werden dramatische Szenen oder stille, traurige Momente illuminiert. Zur effektvollen Technik gehört zudem der Einsatz der Nebenmaschine, der hier nicht, wie so oft, zusammenhangslos und um seiner selbst Willen benutzt wird, sondern wirkungsvoll die Dramatik in düsteren Szenen verstärkt. Ein passender Luftzug kreiert zusammen mit Licht, Nebel, Ton und Musik so einige epische Bilder, die in Erinnerung bleiben. Zurecht bekommt die Technik-Abteilung einen ungewohnt großen Applaus.
Das 15-köpfige Orchester unter Dirigent Peter Pfeiffer spielt beschwingt die opulenten Wildhorn-Melodien mit vollem, wuchtigen Klang, der auch bei Profi-Produktionen alles andere als selbstverständlich ist. Julia Brückner und Angela Wiedemer als musikalische Leiterinnen haben bei “Artus – Excalibur” eine hervorragende Leistung aus allen Beteiligten herausgeholt.
Auch die elaborierten Choreographien und Tanzszenen von Nina Oelmann und Sara Crouch Rymer sind auf Profi-Level. Mit unterschiedlichsten Bewegungsabläufen von den bereits erwähnten Kampfszenen bis zu Hoftänzen und emotionalen Elementen des Ausdruckstanzes ist alles dabei. Ein besonderes Highlight ist die Befreiungsszene aus dem Kloster, in dem die Nonnen zu Morganas düsteren Beschwörungen wabern. Auch der Paartanz von Artus und Guinevere, der sich in ihren Gedanken abspielt, ist gefühlvoll choreographiert. Absoluter Höhepunkt der Inszenierung ist die Ensemblenummer “Morgen triffst du den Tod” und die dazugehörige Choregoraphie – kraftvoll, dramatisch und opulent!
Dass das Ensemble aus Laien besteht, wird vielleicht bei der einen oder anderen Bewegung oder manchem unsicheren – aber nicht schiefen! – Ton deutlich. Die spürbare Spielfreude, das durchgängige ‘Im-Charakter-Sein’ jedes Einzelnen, die Bewegungsfähigkeiten der Tänzerinnen, die kraftvoll und beeindruckend dargebotenen Kampfszenen der Ritter-Darsteller und die schiere Größe des Ensembles lassen dies aber mindestens genauso vergessen wie die Szenen, in denen der gesamte Cast gemeinsam im Chor in unterschiedlichen Stimmen singt: Das klingt mächtig und lässt viele Zuschauer erstaunt und mit Gänsehaut zurück.
Natürlich merkt man, dass es sich bei den Darstellern nicht um ausgebildete Sänger und Schauspieler handelt – doch führen sie tonsicher und mit kraftvollen, gut klingenden Stimmen und einem beeindruckend überzeugenden Schauspiel durch den Abend. Colin Weitmann als Artus bringt ein Schauspieltalent mit, mit dem er vor allem in emotionalen Szenen überzeugen kann. Seine Gesangsstimme ist stark und meistert auch anspruchsvolle Höhen in Wildhorns Arrangements. Besonders seine Bühnenchemie mit Guinevere, gespielt von Marleen Reimann, ist wunderbar anzusehen. Reimann verkörpert ihre Rolle mit glockenklarer Gesangsstimme und vielen berührenden Schauspielmomenten. Ihren großen Moment als Retterin am Ende des Stücks hätte man sich größer inszeniert gewünscht, so dass Reimann den Charakterbogen ihrer Rolle effektvoller zu Ende bringen könnte.
David Kovacs als Zauberer Merlin bringt eine beeindruckende und einnehmende Bühnenpräsenz mit und singt die anspruchsvollen, einem Thomas Borchert auf den Leib geschriebenen Parts solide. Lancelot wird von Peter Rinkefeil als gefühlvoller und loyaler Freund interpretiert, dem es gelingt, die Vielschichtigkeit seiner Figur überzeigend auszureizen. Er gefällt gesanglich vor allem in den gefühlsvollen Teilen von Wildhorns Partitur. In den weiteren Rollen überzeugen vor allem schauspielerisch Tom Funk als Gareth von Orkney, Alexander Koch als Lot von Orkney und Dieter Wolf als Ector. Angemerkt werden sollte, dass einige Darsteller mit lokalen Spracheinfärbungen etwas auffallen und den Zuschauer aus dem Ritterepos immer wieder kurz ins Hier und Jetzt zurückwerfen – daran könnte noch gearbeitet werden.
Showstopper des Abends ist Giacoma Minoia als Morgana. Eine Darstellung, die genau so auch auf der St. Gallener Originalbühne hätte stattfinden können. Stimmgewaltig und virtuos meistert sie die vielleicht anspruchsvollsten Gesangsparts aller Wildhorn-Musicals mit Bravour. Dazu ihr starkes, vielschichtiges und vor allem in den düsteren Momenten überaus beeindruckendes Schauspiel sowie ihr offensichtliches Bewegungstalent gepaart mit einer starken Bühnenpersönlichkeit: Giacoma Minoias Leistung lässt aufhorchen und ist eine Bereicherung für das Theater unter den Kuppeln, das mit “Artus – Excalibur” auf der ganzen Linie ein großartige Produktion abgeliefert hat, die weitestgehend auf Profiniveau angesiedelt ist.
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KREATIVTEAM |
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Musik | Frank Wildhorn |
Songtexte | Robin Lerner
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Buch | Ivan Menchell |
Deutsch | Nina Schneider |
Orchestrierung und Arrangements | Koen Schoots |
Regie | Semjon E. Dolmetsch |
Regieassistenz | Larissa Schiller |
Musikalische Leitung | Julia Brückner Angela Wiedemer |
Orchesterleitung | Peter Pfeiffer |
Choreografie | Nina Oelmann Sara Crouch Rymer |
Kampfchoreografie | Semjon E. Dolmetsch |
Bühne | Harald Rehm Thomas Oberling |
Kostüme | Marleen Reimann Ulrike Wommer |
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CAST (AKTUELL) |
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Artus | Colin Weitmann Matthias Tränkle |
Lancelot | Peter Rinkefeil Christian Reimann |
Merlin | David Kovacs Ernst Weissbrodt |
Guinevere | Linda Dambacher Marleen Reimann |
Morgana | Irina Kühn Giacoma Minoia |
Ector | Dieter Wolf Alexander Koch |
Loth von Orkney | Alexander Koch Thomas Baumkircher |
Gareth von Orkney / Uther Pendragon | Tom Funk Luis Koch |
Luca | Bea Gajdics Theresa Weiß |
Mutter Oberin | Nicole Graef Irmgard Kühnle-Lange |
Priester Athelsten | Sascha Zulott Thomas Thibaut |
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