Wer ein Musical über die markanteste Mätresse Augusts des Starken erwartet, der wird bitter enttäuscht. Das albern-schlüpfrige Buch von Holger Metzner mit aktualisierten Ausleihungen aus dem Barockmusik-Fundus und eher belanglosen Kompositionen von Andreas Goldmann, fokussiert sich auf eine Theatertruppe im 18. Jahrhundert, die Szenen aus dem Leben der Gräfin Cosel probt. Lichtblicke in Olaf Beckers langatmig wirkender Inszenierung sind die fantasievolle Ausstattung von Marlis Knoblauch und ein homogener, stimmlich gut aufgestellter Cast, der routiniert Klischee-Typen gibt.
Fachkräftemangel im Barock! Da sich die ursprünglich vorgesehene Schauspielerin aus dem Staub gemacht hat, sucht die Florentiner Theatertruppe “Circo Fantastico” für ihr Dresden-Gastspiel händeringend nach einer neuen Hauptdarstellerin. Impresario Francesco (Claudio Maniscalco) ist in der Bredouille, denn immerhin hat sich zur morgigen Premiere Kurfürst August der Starke mit seiner Mätresse, der in den Adelsstand erhobenen Anna Constantia, angesagt. Beide wollen begutachten, wie gut Annas Metamorphose zur Gräfin Cosel in der Bühnen-Biografie umgesetzt worden ist.
“Der Kurfürst will eine Rosenknospe und keinen Trockenstrauß”, kommentiert der dem Hof nahestehende Freiherr von Bockelwitz (Manuel Krstanovic) die sich zunächst aufdrängende Nachbesetzung aus den eigenen Reihen der Truppe. Isabella (Laura Mann), Tochter des berühmten Autors Molière, sei einfach zu alt. Würde keine ansprechende Darstellerin gefunden, drohe der Abbruch des Gastspiels, bevor es überhaupt begonnen habe.
Rettung naht in Person einer verspätet eintreffenden Nachwuchs-Actrice aus der sächsischen Provinz. Auf Drängen ihrer Kollegen Maria (Karina Schwarz), Frieder (Alexander Wilbert) und Anton, genannt Antoine Petit (Oliver Morschel), nimmt die ursprünglich als Hintergrund verpflichtete Luise (Stefanie Bock), die Herausforderung an.
Sehr lange dreißig Minuten vergehen, bis die Theatertruppe beginnt, einzelne Szenen aus dem Leben der Gräfin zu proben. Dazwischen erzählt Autor Holger Metzner die hanebüchene Rahmenhandlung mit Brechstangen-Dramaturgie, üblen Kalauern (“Ohne Cosel keine Chosel”), platten Pointen und schlüpfrigen Zoten weiter: Luise verliebt sich in Bühnenpartner Anton und entpuppt sich als Tochter des intriganten Freiherr-Fieslings, der sie als neue Mätresse bei Hofe einführen will, um Schwiegervater des Kurfürsten zu werden. Mit Hilfe eines Amuletts, das Luise von ihrer Kollegin Maria, die vor ihrer Bühnenkarriere als Cosel-Kammerzofe tätig war, geschenkt bekommen hat, rettet sie schließlich den “Circo Fantatico” und entlarvt die Machenschaften ihres Vaters.
Den Gipfel des Unerträglichen erklimmt Metzners Buch schließlich im Finale. Als Happyend erzählt die Theatertruppe die Geschichte so zu Ende, wie sie sein könnte und bringt die tatsächlich nie vollzogene Hochzeit von August dem Starken mit Gräfin Cosel auf die Bühne. Dazu erklingt eine Gospel-Variante von Händels berühmten “Halleluja”-Chor, in dem gerappt und das Publikum zum rhythmischen Mitklatschen aufgefordert wird. Hiermit, und mit weiteren bekannten, modern aufgemotzten Adaptionen aus dem Repertoire von Johann Sebastian Bach und anderer Barock-Komponisten, befinden sich in Andreas Goldmanns Partitur einige veritable Ohrwürmer. Seine eigenen Kompositionen klingen mit Ausnahme von Isabellas Solo “Alles nur Geschäft” wie unspektakuläre, musikalische Dutzendware. Deren musikalische Begleitung wird nicht live gespielt, sondern stammt aus der Konserve – in diesem Fall allerdings zumindest aus einer vergleichsweise recht hochwertigen.
Richtig punkten kann das Stück mit prächtigen, bei den Damen auch sehr sexy geschnittenen Barockkostümen und einem schmucken Bühnenbild. Ausstatterin Marlis Knoblauch stellt vor ein gemaltes Panorama vom alten Dresden einen aufklappbaren Theaterkarren, in dem mit Vorhängen, Klapptafeln und einzuhängenden Wänden die Schauplätze für das Stück im Stück entstehen. Auf der linken Seite führt ein barockes Gartenportal zum von Bockwitz-Palais. Damit schafft Knoblauch auf der sehr breiten Bühne des Boulevardtheaters viel Platz für das Geschehen.
Regisseur Olaf Becker nutzt dann auch diesen Platz aus, drückt allerdings auch immer wieder auf die Bremse und so ist die Inszenierung trotz des Einsatzes von Pyrotechnik nicht wirklich ein Knaller. Becker inszeniert das Musical wie einen albernen TV-Schwank aus vergangenen Tagen, in dem stereotype Knallchargen agieren. Claudio Maniscalco albert sich mit bewusst falsch eingesetztem italienischen Akzent als nervöser, ständig mit einer Nagelfeile hantierender Theaterdirektor durch die Szenerie, während Alexander Wilbert als hormonell übersteuerter, geiler Bock über die Bühne springt, der den besten Sex von Dresden anbietet. Laura Mann gibt eine eifersüchtige, abgewiesen Zicken-Diva und Manuel Krstanovic den schwarzgewandeten Schurken mit Augenklappe, dessen Auftritte penetrant mit Bachs bekanntem “Toccata und Fuge”-Orgelmotiv vorangekündigt werden.
Als junges Liebespaar der Rahmenhandlung beziehungsweise als August der Starke und Gräfin Cosel im Stück sind Oliver Morschel und Stefanie Bock nicht nur optisch ein schmuckes Paar. Beide liefern mit schön modulierbaren Stimmen, die auch in den Duetten wunderschön miteinander harmonieren, starke Gesangsleistungen ab. Mit ihrem tiefen, angenehm timbrierten Gesang überzeugt Karina Schwarz mit “Sei dein eigenes Gesetz”.
Das Boulevardtheater Dresden kündigt “Barock me Gräfin Cosel” als ein “perücktes Musical über Macht, Mätressen und Magie” an. Herausgekommen ist eine im Barock spielende Klamotte, die sehr passgenau auf das Stammpublikum des Hauses zugeschnitten ist. Wer ein Stück über die Gräfin Cosel erwartet oder Musical-Fan ist, der sollte darum lieber einen großen Bogen machen.
Zur Zeit steht die Funktion 'Leserbewertung' noch nicht (wieder) zur Verfügung. Wir arbeiten daran, dass das bald wieder möglich wird.
Mehrere Begriffe ohne Anführungszeichen = Alle Begriffe müssen in beliebiger Reihenfolge vorkommen (Mark Seibert Hamburg findet z.B. auch eine Produktion, in der Mark Müller und Christian Seibert in Hamburg gespielt haben). "Mark Seibert" Wien hingegen findet genau den Namen "Mark Seibert" und Wien. Die Suche ist möglich nach Stücktiteln, Theaternamen, Mitwirkenden, Städten, Bundesländern (DE), Ländern, Aufführungsjahren...