Zombie-Alarm in Berlin! Der aberwitzige Aufmarsch der Gruseltypen von Robert Lohr (Buch, Inszenierung), Tom van Hasselt und Dieter Behrens (Songtexte) mit der ohrwurmträchtigen Musik von Benedikt Eichhorn macht Spaß, kittet Beziehungen und ist eine brillante Hommage an das Musical-Genre.
“Ich hasse Musicals!”. Mit diesem Song tut Henry (Christoph Keune), Redakteur beim Deutschlandfunk und gerade mit dem Thorsten-Petzold-Preis für Theaterpublizistik ausgezeichnet, seine Abneigung gegen das Musiktheater-Genre kund, bei dem seiner Meinung nach ohne Anlass einfach gesungen wird. Er, der schon mit 12 Jahren Kleist verschlungen hat, trennt nicht nur beruflich streng zwischen Hochkultur und Kommerz, sein Standesdünkel schlägt selbst bis ins Private durch. Auch Freundin Maren (Alice Köfer), beim gleichen Radiosender “nur” für den Veranstaltungskalender verantwortlich, muss die Medien des Bildungsbürgertums konsumieren, selbst wenn sie sich heimlich nach Kinoblockbustern und Serien auf RTL 2 verzehrt. Diese Seite lebt sie immer dann heimlich mit ihrem Geliebten aus, sobald Henry beruflich bei rumänischen Kurzfilmtagen weilt oder eine Pressekonferenz vom Goethe-Institut besucht. Tristan (Thilo Prothmann), Fahrradkurier bei einem Restaurant-Lieferdienst, ist ganz Macho mit breitem Kreuz und gibt Maren auch die körperliche Anerkennung, die ihr bei ihrem vergeistigten Partner abhanden gekommen ist.
Alle drei Personen treffen in Robert Lohrs Inszenierung im verwaisten BKA-Theater, der Spielstätte dieses Musicals, aufeinander, in das sie fliehen, um sich vor einer Zombie-Invasion verbarrikadieren. Die menschenfressenden Monster stillen in den Straßen der Hauptstadt ihren Hunger nach Fleisch, auf einer Twitterwall sind dazu unter dem Hashtag #zombieberlin im Sekundentakt Tweets von Polizei, Verkehrsgesellschaft, Innensenator und Bundeskanzlerin zu lesen. Schließlich dringt die tumbe Zombie-Frau Curry (Isabelle Gensior), ursprünglich Wurstwenderin in einer als Kult bekannten Imbissbude neben dem Theater, dort ein und beißt das sich immer weiter auseinanderlebende Deutschlandradio-Paar. Maren kann durch die Einnahme von Globuli-Kügelchen vom Götterbaum zwar Schlimmeres verhindern, doch Henry mutiert zu einer Zombie-Vorstufe und sinkt intellektuell auf das von ihm so verhasste Durchschnittsbürger-Level. Gleichzeitig erkennt er die Vorteile eines Musicals, denn wenn er einen inneren Monolog singt, kann er nicht von einem Zombie verspeist werden.
Autor Robert Löhr hat gemeinsam mit den beiden Songtextern Tom van Hasselt und Dieter Behrens ein sehr witziges, vor Berliner Klischees und Anspielungen auf das Genre nur so strotzendes Musical geschaffen, das in Löhrs flotter Inszenierung richtig Spaß macht und hervorragend unterhält. Der Regisseur nutzt dabei geschickt die breite Bühne mit nur wenigen Requisiten (Jenny Dechêne) und den gesamten Theatersaal für das turbulente Geschehen, in das zum Finale hin auch noch ein ganz hervorragend singender Zombie-Chor eingreift. Hier kann sich Dechêne so richtig bei den Kostümen austoben, die parodistisch-augenzwinkernden Revue-Choreografien stammen von Kathleen Bauer. Da wird zwar kaum jemand gefordert, die Tänze sind optisch jedoch sehr effektvoll.
Zum Uraufführungs-Erfolg tragen auch Benedikt Eichhorns Kompositionen wie “Kampfszenen und Tanz”, “Dann kommt der Fahrradkurier” oder “Zwischen Bauch und Kopf liegt dein Herz” bei, munter am Flügel begleitet von Tobias Bartholomeß, der ganz rechts auf der Bühne platziert ist. Eichhorns Partitur besitzt einen hohen Grad an Ohrwurmcharakter und parodiert augenzwinkernd das Genre. Das ist keine auf Halde produzierte Dutzendware, sondern passgenaue, für das Stück komponierte musikalische Feinarbeit.
Das große Plus vom Cast liegt im Feintuning der liebevoll gezeichneten Charaktere von der tumben Zombie-Frau, über den kerligen Fahrradkurier bis hin zur mental unterdrückten Partnerin eines arroganten Bildungsbürgers. Isabelle Gensior, Thilo Prothmann, Alice Köfer und Christoph Keune spielen das einfach grandios und sind perfekt im komischen Timing bei der Platzierung von Gags. Mit klagend-tiefer Stimme beziehungsweise rundem Bariton
sind Gensior und Prothmann stimmlich auf den Punkt besetzt, allerdings ist bei Köfer und Keune noch Luft nach oben. Sie übertönt mit ihrem klassisch geschulten, hier oft sehr kreischig wirkenden Sopran ihre Kollegen, er verfügt zwar über eine solide Mittellage, kann Defizite bei hohen und vor allem tiefen Tönen jedoch kaum verbergen.
Das Stück wird beworben als “Zombie-Musical für Musical-Hasser und alle, die mit Zombies nichts anfangen können”. Die Vorstellung bewirkt nicht nur bei den handelnden Personen, sondern auch bei den Zuschauern im Saal genau das Gegenteil. Dieses aberwitzige Zombie-Musical dürfte aufgrund seiner Humor-Attacke selbst ein von sich selbst überzeugtes Bildungspublikum ausbremsen. Spaß macht es auf jeden Fall!
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