Mit dem 2016 am Hamburger Schmidt Theater uraufgeführten Märchen-Schlager-Musical “Cindy Reller” gelingt den Uckermärkischen Bühnen Schwedt, an denen das Stück nun erstmals in einer eigenen Inszenierung (Christian Alexander Müller) nachgespielt wird, ein Hit. Hier stimmt einfach alles.
“Die Show wird mit jedem Schluck besser”, höhnt die Stimme des Märchenonkels gleich nach der Pause aus dem Off und schenkt sich noch einen ein. Dabei hat “Cindy Reller” an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt gar kein Promille-Tuning nötig: die schrille, märchenhafte Adaption des Cinderella-Stoffes von Martin Lingnau (Buch und Musik) und Heiko Wohlgemuth (Buch und Songtexte) berauscht auch ohne hochprozentige Flüssigkeitszufuhr und macht einfach nur Spaß.
Zur angepassten Aschenputtel-Geschichte, in der Cindy in einer Zoohandlung schuften muss und nach allerlei Verwicklungen und Intrigen ihrer Stiefmutter und -schwester ihren “Prinz Peinlich” Edelbert Junior in die Arme schließen darf, huldigen die Autoren musikalisch dem deutschen Schlager. Lingnaus Partitur wildert gekonnt im Melodien-Repertoire von Andrea Berg, Helene Fischer und Co und setzt sie zu eigenen Songs mit oft schwülstig-romantisch verklärten Texten zusammen. So entsteht ein Mix aus schmachtenden Balladen, Pop-Schlagern im Discofox-Rhythmus und Ballermann-Hymnen, die jeder sofort mitsummen kann. Zum Genre passend wird die Musik vom Band eingespielt, wobei die Uckermärkischen Bühnen auf das Uraufführungs-Halb-Playback aus dem Hamburger Schmidt Theater mit Wolfgang Trepper als Erzähler zurückgreifen.
Auch in Anke Fischers Bühnenbild findet der deutsche Schlager statt, indem sie bunte Vinyl-LPs um die Bühnenöffnung herumdekoriert. Auch die runden Spielflächen nehmen die Tonträger auf. In diesen leeren Raum werden zwei zweiseitig verwendbare Ladenelemente für das Innen und Außen der Zoohandlung geschoben. Vor einen Vorhang aus hellblauen Kordeln werden für eine Werbeagentur, ein Heiratsinstitut und weitere Spielorte Tische und Stühle gestellt. Das alles ist praktikabel und ermöglicht schnelle Szenenwechsel. Fischers Kostüme sind ein knalliger wie funkelnder Pailletten- und Tüll-Rausch, wobei auf dem Märchenball Stiefmutter Renate und Tochter Blondie als 101-Dalmatiner-Schreckschraube Cruella de Vil und Meerjungfrau Arielle geradewegs den Disney-Trickfilmen entstiegen zu sein scheinen. Patrick Staufs Show-Choreografien mit großen Posen imitieren gekonnt Vorbilder aus dem TV.
Mit seiner fantasievollen wie temporeichen Inszenierung unternimmt Musical-Sänger Christian Alexander Müller einen gelungenen Abstecher ins komische Regiefach. Dafür lässt er seine sechs Darsteller mit liebevoll gezeichneten Charakteren ein wahres Gag-Feuerwerk abbrennen. Selbst die zotigsten Schenkelklopfer zünden und werden auf den Punkt genau präsentiert. Dabei unterschreitet die Inszenierung niemals ein gewisses Niveau. Gleichzeitig bremst Müller gefühlvoll die rasante Gag-Parade für stillere Momente ab. So berührt Cindys Ballade “Mein Märchen kennt kein Happy End”, in dem sie ihr Schicksal beklagt und beschließt, die Intrige von Stiefmutter und -schwester mitzuspielen, um das Leben der Tiere in der Zoohandlung zu retten.
In der Titelrolle gefällt Lisa Rothhardt mit einem schönen Musical-Sopran, der in die Höhen hinein manchmal etwas dünn wirkt. Darstellerisch ist sie ein bemittleidenswertes Aschenputtel mit einem großen Herzen, das verdientermaßen um ihr Glück kämpft. Dieses kommt in Person von Dominik Müller daher, der einen charmant-eloquenten Edelbert von Grootfru Junior gibt. Mit seinem satten Bariton, den er auch in funkelnde Höhen schrauben kann, begeistert er nicht nur mit “Ein A-Capella-Song”, sondern führt im orientalischen Showstopper “Dubidubidubai” das kleine Ensemble an.
Eine unglaubliche Wandlungsfähigkeit legt Uwe Schmiedel an den Tag. In gleich acht Rollen steht er mit schnellen Kostümwechseln auf der Bühne und gibt vor allem als affektiert-tuntiger Agentur-Mitarbeiter Emsig dem Affen so richtig Zucker. In dieser Rolle interagiert er nach der Pause brillant mit dem Saalpublikum und darf mit seinem vollen Bariton den Ohrwurm “Jeder Ton trifft mich ins Schlagerherz” intonieren. Im albernen Kinderlied “Bugaloo das kleine Bärchen” wird Schmiedel immer wieder von Gerhard Kählings Rap-Tiraden unterbrochen, der als polternder Edelbert von Grootru Senior so richtig den Kotzbrocken heraushängen lassen darf. Gefühlvoller wird er nur im Song “Sophia Laureen”, mit dem er seinen Sohn nach 25 Jahren beichtet, wer dessen Mutter ist.
Als Cindys Stiefmutter Renate Reller-Rochen ist Dominika Szymanska eine kaltherzige, leicht abgetakelte Luxus-Lady im Leoparden-Look. Ihr gönnt das Musical den Song “Ich will mehr als genug”, den Szymanska mit vollem Sopran zum Besten gibt. Mit Antonia Welke steht als begriffsstutziges Dummchen Blondie fast eine Idealbesetzung auf der Bühne. Es ist beeindruckend wie sie sich im Ghetto-Slang (“Gib ma Fische in die Butta”) durch den Abend plappert und bestürzt feststellt, dass man in Schwedt gar nicht schwedisch spricht. Auch gesanglich ist sie nicht nur im Gassenhauer “Heute fang’ ich mir einen reichen Millionär ein” top!
Zum Finale gibt’s als Reprise “Jeder Ton trifft mich ins Schlagerherz”. Diese Aufführung trifft auch mitten ins Musical-Herz. Mit “Cindy Reller” ist den Uckermärkischen Bühnen Schwedt dank Inszenierung, Ausstattung und Cast ein großer Coup gelungen. Isch schwöare!
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