Warum morden Mörder? Einen Erklärungsansatz liefert Stephen Dolginoffs Kammer-Musical “Thrill Me” nach einer wahren Begebenheit. Für Nathan und Richard liegt der Reiz am Verbrechen in der Befriedigung ihrer eigenen Interessen. Michael Heller inszeniert das Mörder-Psychogramm packend mit den grandiosen Darstellern Kevin Köhler und Gerrit Hericks.
Beweisstück Brille. Es ist die am Tatort gefundene Sehhilfe, die den beiden College-Studenten Nathan und Richard zum Verhängnis wird und sie als Mörder des kleinen Bobby überführt. Die von den Medien ausgeschlachtete, spektakuläre Bluttat geht 1924 in die amerikanische Kriminalgeschichte ein und dient Stephen Dolginoff (Texte und Musik) als Vorlage für ein unter die Haut gehendes Zwei-Personen-Musical, das wie ein Psychogramm die Beweggründe der Täter untersucht.
34 Jahre nach der Tat steht Nathan vor der Kommission für vorzeitige Haftentlassung und berichtet in einer Rückschau über seine kriminelle Karriere und die damit eng verwobene Beziehung zum ein Jahr zuvor in der Gefängnis-Dusche ermordeten Mittäter Richard. Da beide sich für Übermenschen halten, soll auf Brandstiftungen und kleine Diebstähle als Krönung das perfekte Verbrechen folgen: ein Mord an einem kleinen Jungen! Auch wenn Nathan das zunächst zuwider ist, beugt er sich dem psychischen Druck Richards, der aus den Taten seelische Befriedigung für sein angeknackstes Ego schöpft. Als Gegenleistung für Nathans Beteiligung gewährt er ihm körperliche Nähe und sexuelle Befriedigung. Dieses Geflecht aus Sex und Crime stellt für beide eine persönliche Win-Win-Situation dar, die sie in einem Kontrakt mit ihren Bluttropfen besiegeln.
Dolginoffs Musical gewährt den Zuschauern einen tiefen Einblick in das Seelenleben zweier junger Männer, die jeder für sich nach ihrem persönlichen Kick streben und dafür den jeweils anderen benötigen und für ihren Zweck benutzen. Der Autor erzählt das in nahezu durchkomponierter Form mit einem Buch, das einen schonungslosen Blick auf das Seelenleben der beiden Protagonisten wirft.
Regisseur Michael Heller setzt dieses “Wer ist Täter, wer ist Opfer”-Psychogramm mit einfachen Mitteln und hohem Spannungsbogen packend in Szene. Dafür steht auf der schwarzen Bühne nur ein rollbarer, mannshoher Würfel mit beleuchtbarem Innenleben (Bühne: Todde Griese-Franck) der durch ausklappbare Elemente beispielsweise zum Schreibtisch wird. Gleichzeitig dient seine besteigbare obere Etage als zusätzliche Spielfläche. Heller setzt dazu geschickt Lichteffekte ein (kaltes, blaues Licht für die Gegenwartsszenen, warme Töne für die rückblickenden Handlungsstränge) und deutet das spätere Mordopfer nur durch den Leuchtpunkt einer Taschenlampe an. Die von Krzysztof Sumera entworfenen, vom Hamburger Ohnsorg-Theater als Leihgabe zur Verfügung gestellten Kostüme spiegeln das Lokalkolorit der 1920er Jahre wider.
Mit Kevin Köhler als zunächst naiv-verliebtem Nathan und Gerrit Hericks, der als arrogant-diabolischer Richard genau weiß, wie er sein Gegenüber für seine Zwecke missbrauchen kann, stehen zwei Sängerdarsteller auf der Bühne, die als Idealbesetzung gelten dürften. Beide verfügen über recht ähnlich klingende Baritonstimmen mit weichen Höhen, die im Gesang sehr gut miteinander harmonieren und sich in Duetten zu einem wunderschönen Wohlgesang vereinen. Beide sind fast unentwegt auf der Bühne und begeistern mit sehr glaubwürdigem, unter die Haut gehendem Spiel.
Einen großen Beitrag am Erfolg der Show leistet die rechts von der Bühne postierte Pianistin Lidia Kalendareva. Mit gefühlvollem Spiel ist sie eine aufmerksame musikalische Begleiterin am offenen Flügel, die in den Gerichtsszenen durch Zuklappen des Tastaturdeckels, Zupfen von Saiten und Schlagen auf das hölzerne Instrumenten-Innenleben überraschende wie düstere Töne zaubert.
“Ich habe alles nur getan, um bei Richard zu sein”, lautet Nathans reumütiges Fazit, der sich damit eingesteht, dass er weder ein Übermensch, noch eine sinnlos mordende Bestie ist. “Thrill Me” erweist sich in dieser grandiosen Produktion des gemeinnützigen Vereines “OFFstage Germany” alles andere als leichte Unterhaltungstheater-Kost. Es empfiehlt sich vielmehr als Geheimtipp für Musical-Gourmets. Bitte mehr davon!
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