Klaus Seiffert inszeniert die Tragödie um den ehemals gefeierten und in Vergessenheit geratenen Stummfilm-Star als unspektakuläres Rumsteh-Theater. Isabel Dörfler triumphiert als Norma Desmond; Hardy Brachmann (Joe Gillis) und Heiko Walter (Max von Meyerling) retten den Musical-Ruf des Haus-Ensembles.
Nach vielen Jahren ist sie endlich zurück im Filmstudio! Irritiert und verängstigt schaut die Diva auf einen länglichen, an einer Stange befestigten Metallgegenstand, der über ihrem Kopf auf das Set gerichtet wird. Zu Norma Desmonds Glanzzeiten waren Mikrofone überflüssig. Alles, was sie zu sagen hatte, sagte sie mir ihrem Gesicht. Doch diese Ära ist ebenso verblasst wie ihr Ruhm, auch wenn sie es nicht wahrhaben will.
Sobald Isabel Dörfler nach zwanzig Minuten Spieldauer zum ersten Mal auf der Bühne erscheint, fesselt sie bis ins tragische Finale mit ihrer Desmond-Darstellung als engstirnige Wahnsinnige, die in der Vergangenheit der übergroßen Posen und gigantischen Gesten steckengeblieben ist. Grandios, wie sie stolz die Treppe in Normas musealen Anwesen hinauf- und hinabschwebt, um dann im Finale vor der versammelten Journaille in ihrer vermeintlich letzten Rolle als Salomé die Stufen hinunterzutaumeln. Als gealterte Stummfilm-Ikone beherrscht die Darstellerin den sehnsuchtsvollen Kulleraugen-Aufschlag ebenso wie den entsetzten Gesichtsausdruck. Auch musikalisch bleibt Dörfler ihrer Rolle nichts schuldig und kostet mit gurrendem Alt und strahlender Höhe ihre Solo-Hits “Nur ein Blick”, “Träume aus Licht” und “Als hätten wir nie Goodbye gesagt” aus. Ein rundum gelungenes Rollen-Debüt!
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Neben einer so hervorragenden, gastverpflichteten Musical-Spezialistin haben die Mitglieder des hauseigenen Musiktheater-Ensembles einen schwereren Stand. Die meisten Solisten tun brav genau das, wofür sie ausgebildet wurden und singen ihre Rollen so stimmstark, als stammen die Noten aus der Feder von Wagner, Puccini oder Strauss. Gleichzeitig wirken Sprechszenen hölzern und wie auswendig aufgesagt. Beispielhaft seien hier die Vertreter der größeren Nebenrollen Ulrich Schneider (Regisseur DeMille), Christian Henneberg (Artie Green) und Debra Stanley (Betty Schaefer) genannt. Dies gilt aber auch für die vielen kleinen Partien und die Damen und Herren des Chores. Das wuchtig aufspielende Philharmonische Orchester unter Leitung von Alexander Merzyn, das in dramatischen Passagen den Gesang übertönt, rückt “Sunset Boulevard” in der 2016er ‘Symphonic Version’ noch weiter in Richtung Oper.
Allerdings hat das Staatstheater Cottbus noch zwei hauseigene Asse im Ärmel: Auch wenn Heiko Walter als Normas Entdecker, Regisseur und Ehemann Nummer 1 optisch etwas zu jung geraten ist, glänzt er in der Darstellung als treuer Dienstbote Max von Mayerling. Er schleicht wie ein guter Geist über die Bühne und punktet solistisch in “Kein Star wird jemals größer sein” mit satten Tiefen und einer eindrucksvollen Kopfstimme. Ihm gesanglich ebenbürtig ist Hardy Brachmann als reifer Joe Gillis, der sich insbesondere im anspruchsvollen Titelsong – egal ob in hohen oder tiefen Lagen – hörbar wohlfühlt. Auch in den Duetten “Ein gutes Jahr” oder “Viel zu sehr” harmoniert sein Tenor stimmlich sehr gut mit seinen Partnerinnen. Allerdings wirkt Brachmann in der besuchten Premiere darstellerisch sehr konzentriert und man merkt beim Schlussapplaus die Anspannung, die von ihm abfällt.
Werkgetreu und solide. Unter dieses Motto stellt Klaus Seiffert seine Inszenierung, die mit ihrem dominanten Frontalgesang ins Publikum recht hausbacken wirkt. Im eigentlich dramatischen zweiten Akt macht sich zudem eine bleierne Langeweile breit und die Regiearbeit verkommt zum vorhersehbaren, braven Spiel vom Blatt und ist alles andere als ein tragischer Thriller. Seiffert gelingt es zudem nicht, Showstopper-Nummern wie “Die Rechnung zahlt die Dame” eine gehörige Portion Pep einzuhauchen. Er zeigt eine Herrenausstatter-Crew aus etwas unbeholfen und steif zum Takt der Musik über die Bühne stapfenden Sängern, um die drei Balletttänzer als Azubis lustlos-asynchron herumhüpfen. Seine Erwähnung als Choreograf auf dem Programmzettel rechtfertigt Mario Mariano mit der kurzen Traumsequenz, in der Tanzdoubles von Norma und Betty in modernem Bewegungs-Repertoire um die Gunst von Joe ringen.
Aus Barbara Krotts unspektakulärem Kostümbild stechen die vielen geschmackvollen, mit viel Liebe zum Detail entworfenen Roben und Gewänder für Norma Desmond angenehm hervor. Krotts Bühnenbild – zwei auf die Drehbühne gestellte Treppenkonstruktionen – ist vor allem funktional und ermöglicht schnelle Szenen-Wechsel. Zeigt die eine Seite Normas düsteren Salon mit drei überdimensionalen Frauen-Gemälden, Orgelprospekt, Sofa und zwei schicken Lampen im Art-Déco-Stil, so erscheint nach dem 180-Grad-Schwenk ein identisch großer Raum in Wellblech-Optik. Er ist zwar für die Handlungsstränge auf dem Filmstudio-Gelände stimmig, wirkt für eine ausgelassene Silvesterparty, Normas Garten oder die Künstlerkneipe allerdings zu nüchtern.
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Auch wenn die Rotation auf Dauer etwas ermüdet, offenbart das Parken des Bühnenbild-Aufbaus in einer schrägen Position bei Normas Wagen die Gemeinsamkeit zwischen Traumfabrik und Theater: Hinter der schmucken Oldtimer-Front nehmen die Darsteller auf einem schlichten, schmucklosen Rollbrett Platz, um in dieser Kulisse die Illusion einer Autofahrt auf Hollywoods Sunset Boulevard zu simulieren. Auf Cottbus’ Bühne ist der Boulevard zwar holprig, doch dank guter Darsteller in den Hauptpartien kann man so manches Schlagloch verzeihen.
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