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Dezember 2019. Die Generalprobe einer Revue, die am Silvesterabend Premiere haben soll, wird überraschend vom Kulturbeauftragten der nun rechtspopulistischen Bundesregierung, die seit 2017 im Amt ist, besucht. Er soll die Revue ‘im Sinne des neuen konservativen Zeitgeistes’ begutachten. Diese Rahmenhandlung dient Manfred Langner und Horst Maria Merz als Aufhänger, um die Geschichte Stuttgarts und Deutschlands in den 1920er Jahren aufzuarbeiten und mit der momentanen politischen Lage zu vergleichen. Das Ergebnis ist so unterhaltsam wie erschreckend aktuell.
Die ‘wilden Zwanziger’: dekadentes Nachtleben, hemmungslose Künstler, funkensprühende Kreativität. Soll man eine Hauptstadt dieser kreativen Dekade nennen, fällt sofort der Name ‘Berlin’. Aber auch Stuttgart ist damals ein Zentrum der Avantgarde von Kunst, Architektur und Theater. Sichtbare Zeugen dieser Zeit sind heute noch die Weißenhofsiedlung und der Tagblatt-Turm. Aber in diesem Jahrzehnt tritt auch der schnelllebige Kommerz einer Amüsiergesellschaft in den Vordergrund, etwa bei der Mode oder im Einkaufsverhalten, was die ersten Kaufhäuser entstehen lässt. Auch das Unterhaltungs- und Informationsmedium Radio zieht in die Haushalte ein. Ein ganz offensichtliches Bindeglied gibt es zwischen diesem Jahrzehnt und der Gegenwart: Man baut einen neuen Bahnhof, moderner als alle Bahnhöfe zuvor.
Die Autoren hätten sich bequem auf eine fröhliche, nostalgisch ausgestattete Revue mit Nonsens-Schlagern wie “Wenn die Elisabeth nicht so schöne Beine hätt'” beschränken können. Aber dieses Jahrzehnt ist nicht nur bunt. Da sind auch die Nachwehen des Ersten Weltkriegs, soziale Not, politisches Chaos ohne klare Mehrheiten und dadurch der politische Aufstieg der Nationalsozialisten. Dieser düstere Aspekt schlägt sich auch in der Unterhaltungskunst der Zeit nieder. Die bitteren, sarkastischen Chansons sind die eindrucksvollsten des Abends. Autor und Regisseur Manfred Langner schafft das Kunststück, von ausgelassenen und temporeichen zu ernsten Nummern zu wechseln, ohne dass dieser Bruch aufgesetzt oder unpassend ist. Langner kann sich aber auch auf sein starkes Ensemble verlassen, das überzeugend von Unsinn zu Ernsthaftigkeit schwenkt. In den Dialogen gelingen elegant eingestreute Spitzen, etwa über die neue Bundeskanzlerin mit dem 20er Jahre-Bubikopf und die neue Regierungspartei, ohne dass Namen genannt werden müssen.
Die Übermittlung der historischen Fakten erfolgt nicht immer so federleicht. Gut gelöst ist das in Form von Video-Einspielern mit der Nachrichtensprecherin Trudl Rakers, ziemlich gewollt dagegen in den Dialogen des damaligen Leiters des Schauspielhauses Claudius Kraushaar mit dem Kellner seines Lieblingscafés. Einzelne Aspekte lassen sich mit dem sehr umfangreichen und informativen Programmheft vertiefen.
Das drehbare Bühnenbild von Beate Zoff besteht vor allem aus einer geschwungenen Showtreppe. Diese windet sich, aus einem großen Grammophontrichter heraus kommend, um das hervorragend spielende Tanzorchester Horst Popocatépetl & seine Swinging Volcanos. Die fünfköpfige Band, die sowohl geschmeidigen Schlager-Schmelz und flotten Jazz als auch die zackige Disharmonie eines Kurt-Weill-Liedes beherrscht, wird bei manchen Stücken von Antje Rietz unterstützt, die nicht nur als Darstellerin, sondern auch an der Trompete überzeugt. Amelie Sturm setzt mit schwäbischem Dialekt komische Akzente. Alina Bier, die auch für die akzentuierte Choreographie verantwortlich ist, berührt mit ihrer hellen Stimmen besonders bei “Küsst die Faschisten”. Harald Pilar von Pilchau und Theodor Reichardt schaffen es, ihre Flut an Rollen jeweils Eigenheiten mitzugeben und sie nicht nur heruntergespielte, benötigte Figuren werden zu lassen.
Mephistohaft, kalt-freundlich lächelnd und mit präziser Beamtenhaftigkeit gibt Frank Voß den Kulturbeauftragten Lechler – nicht satirisch überzogen, sondern so natürlich, dass einen schaudert. Seine Bekehrung vom Saulus zum Paulus kommt allerdings sehr plötzlich und ist wenig nachvollziehbar. Gideon Rapp beherrscht sowohl den Grimassenschneider, den Liebhaber als auch die Goebbels-Parodie, und wird im Lauf des Abends zum “das wird man doch mal sagen dürfen”-Ensemblemitglied, das sich auf Lechlers Seite stellt. Mario Mariano, dessen Hautfarbe und Herkunft ihn zur Lechlers Zielscheibe machen, tritt neben diversen Rollen mehrmals als Tourist auf, der immer wieder einen zeitgenössischen Reiseführer zitiert und damit einen interessanten Blick von außen auf die Stadt wirft.
Insgesamt eine sehr überzeugende Ensembleleistung, deren kleine gesangliche Einschränkungen von der Spielfreude und Vielseitigkeit überdeckt werden. Diese Vielzahl an Figuren wird von Monika Seidl mit passenden Kostümen vom Alltagskleid bis zur Glamour-Abendgarderobe ausgestattet.
“Ein Tanz auf dem Vulkan” zeigt exemplarisch an Stuttgart die deutsche Geschichte vor knapp hundert Jahren. Lokal genug, um die Stuttgarter wissend mit dem Kopf nicken zu lassen – national genug, damit auch Nicht-Stuttgarter folgen können. Dazu mit erfreulich wenig Früher-war-alles-besser-Nostalgie und viel politischer Schärfe. Wenn sich zum Schluss das Ensemble klar gegen den aktuellen Rechtspopulismus wendet und dazu aufruft, die dargestellte Zukunft nicht zur Gegenwart nach der Bundestagswahl 2017 werden zu lassen, ist das ein starkes Zeichen, das im ausverkauften Theater stürmisch beklatscht und hoffentlich von jedem Zuschauer, der zustimmend applaudiert, auch in die Tat umgesetzt wird.
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KREATIVTEAM |
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Inszenierung | Manfred Langner |
Musikalische Leitung | Horst Maria Merz |
Musikalische Einrichtung | Niclas Ramdohr |
Choreographie | Alina Bier |
Bühnenbild | Beate Zoff |
Kostüme | Monika Seidl |
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CAST (AKTUELL) |
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Mit | Alina Bier Antje Rietz Amelie Sturm Mario Mariano Michael Dixon Horst Maria Merz Harald Pilar von Pilchau Gideon Rapp Theodor Reichardt Frank Voß |
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GALERIE |
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TERMINE |
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