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Was für ein Kinderbuch! Ein Mädchen zündet sich an, ein Junge hungert sich zu Tode und einem anderen werden die Daumen abgeschnitten. Die Musiker der britischen Band “The Tiger Lilies” haben den “Struwwelpeter” für ihr mit zwei Olivier-Awards ausgezeichnetes, morbid-schwarzhumoriges Bühnenspektakel benutzt. Anders als in der Vorlage kommt im Bühnenstück in jeder Geschichte jemand auf grausame Art und Weise ums Leben. An deutschen Theatern erfreut sich das Stück großer Beliebtheit und auch die Wiesbadener Aufführung kann das Publikum mit Ideenreichtum und aufwändiger Umsetzung begeistern.
Es scheint, als hätte die Verwandtschaft der Addams Family, die im Kleinen Haus des Wiesbadener Staatstheaters gerade ihr Unwesen treibt, sich nicht mit der kleineren Bühne zufrieden gegeben, sondern das benachbarte Große Haus gekapert. Diese ‘Happy Family’, wie sie im Programmheft genannt wird, ist aber eher die Sorte schmuddelige, entfernte Verwandtschaft, mit der niemand etwas zu tun haben will. Gar furchterregend sehen sie aus: eine Hautfarbe blass wie Untote, Kleidung in schwarz-weiß, übergroße oder schwarz geschminkte Münder. Man könnte sie für Figuren aus einem Tim-Burton-Film halten. Diese Familie bietet den Rahmen für die bekannten Geschichten. Zu Beginn jeder Sequenz versammelt sie sich an einem Tisch, fasst sich an den Händen und ruft im Chor “Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb”. Anfangs noch mit aufgesetzter Fröhlichkeit, bröckelt das Bild der glücklichen Familie immer mehr. Von Geschichte zu Geschichte verkürzt sich ihr Mantra bis am Ende nur noch ein “Piep” übrig bleibt.
Der Esstisch als Zentrum der familiären Zusammenkunft ist beherrschendes Element von Stefan Heynes drehbarem Bühnenbild. Von normal groß bis riesig gibt es mehrere Exemplare, die die Darsteller erklettern, bespringen oder hinaufrennen müssen. Auch die Requisiten sind übergroß. Die ‘Happy Family’ scheint in einer Welt von Riesen gefangen zu sein. Zusammen mit den Kostümen von Anne Buffetrille und einer vortrefflichen Ausleuchtung wird so eine düster-skurrile Atmosphäre geschaffen.
Regisseur Tilo Nest hat dem Stück mit der Familie einen kleinen roten Faden gegeben und satirische Dialoge hinzugefügt, die sich um Familie und Pädagogik drehen. Er trifft pointiert den Kern der Sache, wie man am zustimmendem Nicken aus dem Publikum erkennt. Hier und da hätte aber eine Kürzung nicht geschadet. Die szenische Umsetzung der Songs ist hervorragend gelungen. Ob mit Einsatz von Schattentheater, Hans-guck-in-die-Luft mit einem Smartphone, der Suppenkaspar in einer übergroßen Suppenschüssel oder der fliegende Robert, der kein bisschen traurig zu sein scheint, dass ihn der Wind von seiner Familie wegweht – alles ist kreativ ausgearbeitet und sitzt punktgenau. Auch die Balance zwischen Komik und sehr düsteren Szenen passt perfekt, ohne dass eine Unwucht entsteht.
Das alles funktioniert natürlich nur mit einem großartigen Ensemble, das nicht nur in jeweils mehreren Rollen spielen und singen darf, sondern außerdem auch tanzen, das Bühnenbild erklettern, Rad schlagen und sich als Live-Musiker betätigen muss. Hanno Friedrich, dessen sehr agiler Struwwelpeter als Conférencier durch das Stück führt, kann zusätzlich durch eine rockige Singstimme beeindrucken. Sólveig Arnardóttir spielt vor allem die Mutter – aber ihr Zappelphilipp, der ununterbrochen singend die riesigen Tische hinauf und hinunter rennen muss, bleibt nachhaltig in Erinnerung. Michael Birnbaum, in seinem Kostüm als Vater dem Pinguin aus “Batmans Rückkehr” sehr ähnlich, zeigt, dass er auch ein ausgezeichneter Klarinettist und wortwörtlich unaufhaltsamer Blockflötenvirtuose ist. Die Tochter Sybille wird als gespaltene Persönlichkeit in dick und dünn gleichzeitig von Anja S. Gläser und Barbara Dussler verkörpert, die durch ihr Timing beim Unisono-Sprechen imponieren. Karoline Reinke spielt den Sohn Tim, begleitet sich aber auch selbst mit dem Akkordeon und muss zur Geige greifen. Mats Beyer kann als Schneider in der Daumenlutscher-Sequenz zeigen, was für ein akrobatischer Tänzer er ist. Putzig anzusehen aber inhaltlich unverständlich sind die Auftritte eines Pinguins, der dem Treiben auf der Bühne immer wieder mal zusieht.
Begleitet wird das Ensemble von einer vierköpfigen Band unter der Leitung von Volker Griepenstroh, die durch Vielseitigkeit beeindruckt. Ob lautmalerisch-atmosphärischer Hintergrund der Szenen, Gospel, südamerikanische Rhythmen oder krachender Rock – hier sitzt alles. Zusätzlich tauchen immer wieder Zitate aus bekannten, überraschend passenden Songs auf. Dass der Abend mit Pink Floyds Refrain “We don’t need no education” endet, sorgt zwar für gute Stimmung im Saal, ist aber fast etwas platt. Die Band ist sehr gut abgemischt, doch wenn sie in die Vollen geht und das gesamte Ensemble singt, bleibt die Textverständlichkeit auf der Strecke. “Die Geschichte vom wilden Jäger” kann man so allenfalls erahnen.
“Shockheaded Peter” bläst den Staub aus den Schnörkeln des reich verzierten Wiesbadener Theaters und wird vom Publikum dafür einhellig und zu Recht bejubelt.
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KREATIVTEAM |
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Regie | Tilo Nest |
Musikalische Leitung | Volker Griepenstroh |
Bühne | Stefan Heyne |
Kostüme | Anne Buffetrille |
Dramaturgie | Katharina Gerschler |
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CAST (AKTUELL) |
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Mit | Sólveig Arnarsdóttir Mats Beyer Michael Birnbaum Barbara Dussler Hanno Friedrich Anja S. Gläser Karoline Reinke |
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GALERIE |
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TERMINE |
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