Musical, Oper oder beides? “Schikaneder” erinnert in seiner Partitur und dem Gesang stark an die Oper “Die Zauberflöte” und vereint damit Elemente aus beiden Genres. Die hochwertige Produktion legt den Fokus auf Musik und Gesang; die Zuschauer werden in eine andere Epoche versetzt. Wie in so mancher Oper plätschert die Handlung allerdings seicht dahin.
“Die Zauberflöte” von Wolfgang Amadeus Mozart und Emanuel Schikaneder aus dem Jahr 1791 gehört zu den bekanntesten Opern weltweit. Mozart ist bis heute einer breiten Masse ein Begriff – Schikaneder dagegen nur wenigen. Nachdem die VBW dem Komponisten mit “Mozart!” bereits 1999 ein eigenes Musical gewidmet haben, bekommt der Librettist auf den Tag genau 225 Jahre nach der Zauberflöten-Premiere ebenfalls sein eigenes biografisches Stück. Stoff für ein Bühnenwerk bietet seine Vita als Schauspieler, Theaterleiter und Autor von über 100 Stücken allemal.
Dennoch kommt bei einem Großteil der dreistündigen Geschichte, die von Emanuels (Mark Seibert) großer Liebe Eleonore (Milica Jovanovic) zunächst in Rückblenden erzählt wird, nicht richtig Fahrt auf. Nach dem anfänglichen Kennenlernen in der Tournee-Theater-Gruppe von Franz Moser (Hardy Rudolz) kommen die beiden schnell zusammen und singen mehrere ähnlich-klingende Liebesballaden. Erst zum Ende des ersten Aktes, als Maria Anna Miller (Katie Hall), eine der Geliebten Emanuels, von ihm schwanger wird und Eleonore damit konfrontiert, kommt die erste Nebenhandlung samt Akteurin ins Spiel. Die Affären ihres Gatten gehen Eleonore damit endgültig zu weit und sie brennt mit dem jüngerem Schauspielkollegen Johann Friedel (Florian Peters) durch, um sich in Wien den einst mit Emanuel geteilten Traum der Eröffnung eines festen Theaters zu erfüllen. Im zweiten Akt arbeiten die Schikaneders nach Friedels schnellem Tod erneut zusammen. Das Liebes-Comeback lässt zunächst noch auf sich warten, doch zum Ende knickt Eleonore, die über große Strecken die bestimmende Persönlichkeit des Stücks ist, ein. Emanuel versichert ihr künftig treu zu sein – ein Versprechen, das er gewiss nicht halten kann.
Anthony Wards Ausstattung ist sehr gelungen. Durch den geschickten Einsatz der Drehbühne mit einer darauf befindlichen Holzkonstruktion wird eine damals zeitgemäße Theaterbühne inkl. Schnürboden-Zügen geschaffen. Der Zuschauer erhält schnell immer wieder verschiedene Blickwinkel und Perspektiven auf unterschiedlichen Schauplätzen. Ein Clou ist hierbei der durch eine 45-Grad-Drehung der Bühne erreichte seitliche Blick auf die barocke Bühne, was durch das Lichtdesign von Paul Pyant unterstützt wird. Auf eine helle, weiße Beleuchtung reduziert, gibt es zusammen mit nachgeahmter originalgetreuer Kerzenbeleuchtung den Eindruck, wie eine Bühne zur damaligen Zeit beleuchtet wurde. Sehr stimmig sind dazu die prachtvollen und hochwertigen, epochentypischen Kostüme.
Das satt klingende 32-köpfige klassische Orchester hat fast die gleiche Besetzung wie seinerzeit “Die Zauberflöte”, lediglich das 2. Fagott und die 3. Posaune fehlen. Somit punktet die Produktion bei der musikalischen Ausführung deutlich. Unter der Leitung von Koen Schoots wartet diese mit selten in Musicals zu hörenden Cembalo-Klängen auf. Die Mozarts Opern ähnelnde Partitur untermalt das Geschehen auf der Bühne. Stephen Schwartz verneigt sich damit vor Mozart, ohne diesen zu kopieren, erreicht jedoch wenig Eigenständigkeit. Als Erkennungswert hat Schwarz zu einigen Rollen Klänge aus den Partien der Zauberflöte adaptiert. Hier sind Papagana bei Barbara Gerl und – besonders gelungen – die Königin der Nacht bei Josepha Hofer erwähnt. Der amüsante Song “Ich? Warum?” von Josepha Hofer, Benedikt Schack und Barbara Gerl erinnert außerdem an “Tamino und die drei Damen” aus der Zauberflöte.
Die Inszenierung in der Verantwortung von Trevor Nunn beinhaltet Elemente der Buffo Oper wie komödiantisch angelegte und oftmals übertriebene Gesten und Verbeugungen. Diese sind sowohl in den Gesangs- als auch in den langen Sprechszenen in ihrer Ausführung jedoch immer wieder langatmig und die Komödie daran entschwindet. Dies gipfelt in der stets extravaganten Gestik der Figur des Emanuel Schikaneder.
Die an eine Oper erinnernde Musik fordert die Musicaldarsteller gesanglich heraus. Milica Jovanovic gelingt es, sowohl darstellerisch als sympathische Eleonore als auch mit ihrer kraftvollen Stimme zu überzeugen – beeindruckend vor allem in den Höhen. Sie meistert ihr Opern-typisches Solo im zweiten Akt mit Leichtigkeit und steht damit verdient im Mittelpunkt der Aufführung. Mark Seibert füllt die Titelrolle souverän aus – schauspielerisch ist seine Rolle auf die großen Operngesten ausgerichtet. Dass dies auf Dauer ermüdend ist, ist letztendlich nicht ihm, sondern der Regie zuzuschreiben. Sein Bariton überzeugt in der Mittellage; in den Höhen wird seine Stimme dünner.
Wie Jovanovic setzt auch Katie Hall als Maria Anna mit ihren Koloraturen stimmliche Glanzpunkte. Dazu kostet sie ihre naive Rolle voll aus und erntet einige Lacher sowie Szenenapplaus. Florian Peters zeigt mit weichem und jugendlichem Tenor einen zurückhaltenden, zarten Johann Friedel. Als resolute Barbara Gerl kann sich Franziska Schuster aus dem Ensemble herausspielen.
Es ist hocherfreulich, dass die Vereinigten Bühnen Wien zehn Jahre nach “Rebecca” wieder eine Uraufführung präsentieren. “Elisabeth” setzte 1992 als Drama-Musical neue Maßstäbe, mit “Schikaneder” erschaffen sie womöglich wiederum eine neue Form des musikalischen Unterhaltungstheaters. Der Stoff und die Inszenierung passen thematisch sehr gut in die Kulturszene der Opernstadt Wien, wo Schikaneder einst wirkte. Opernanhänger könnten Gefallen daran finden, wenn sie sich auf dieses Experiment einlassen. Da der große Wow-Effekt ausbleibt, bleibt abzuwarten, wie das Musical-Publikum es aufnimmt. “Die Zauberflöte” ist seit 225 Jahren global erfolgreich – “Schikaneder” muss sich zunächst einmal vor dem Wiener Publikum beweisen.
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