Nach der Sommerproduktion “Romeo & Julia” 2014 wollte das Kieler Schauspielhaus 2016 eine andere Atmosphäre auf die Bühne bringen: Düsterer sollte es sein, weg von der verklärten Romantik. So sind sie bei “Die Räuber” gelandet, mit neu erstellter Textfassung als Rockoper. Die Produktion wird 2018 im Schauspielhaus wiederaufgenommen.
“In einer nicht allzu fernen Vergangenheit…” spielt diese Variante von Schillers Drama, wie die Zuschauer zum Beginn des Theaterabends informiert werden. Eine recht allgemein gehaltene Angabe, doch die Ausstattung lässt von Anfang an keinen Zweifel daran, dass das Drama um die zwei Moor-Brüder in heutiger Zeit spielt. Karl, der Gute der beiden, lässt sich aus Enttäuschung über die ungerechtfertigte Zurückweisung durch seinen Vater mit einer Räuberbande ein. Die machen natürlich nicht mehr die Wälder unsicher, wie es zur Uraufführung des Originaltextes 1782 wohl noch üblich war – auch wenn ein einzelner gefällter Baum auf der Bühne noch diesen Ort andeutet, so ist der Wald hier als Synonym für den Untergrund zu verstehen. Karl will mit seinen Kompagnons die Reichen und Mächtigen zur Ader lassen, nur sterben soll dabei niemand. Dass sich das auf Dauer nicht durchhalten lässt, ist sein Konflikt. Franz, der Böse der beiden Brüder, hat die Intrige, die den alten Moor mit Karl entzweit hat, eingefädelt, um endlich in die Position des anerkannten (weil dann einzigen) Sohnes zu gelangen. Doch irgendwann kommt die Wahrheit ans Tageslicht und beim Showdown zwischen den Brüdern muss Franz einsehen, dass auch der Weg über Intrigen nicht an das gewünschte Ziel führt.
Angesichts des momentan allgegenwärtigen Terror-Themas ein hochmoderner Stoff, den Schiller vor fast einem Vierteljahrtausend niederschrieb. Und so beauftragte das Theater Kiel die Musiker Reimer Bustorff und Marcus Wiebusch von der Band “Kettcar” damit, Songs zu dem Stück zu komponieren und zu texten. Heraus kamen ruppig-rauhe Lieder, die die düster-bedrohliche Atmosphäre des Dramas hervorragend einfangen. So bekommt Amalia, die als Karls Verlobte und Franz’ Objekt des Begehrens zwischen den beiden Brüdern steht, traurig-sehnsuchtsvolle Balladen, während es für die Bande deftige Schlachtgesänge gibt und die beiden Brüder ihre jeweilige Weltanschauung zu rockig-poppigen Beats kundtun dürfen. Leider nimmt die Musik zeitlich gesehen nur weniger als die Hälfte des Abends ein. Es gibt immer wieder lange Dialogpassagen, die das Ensemble des Schauspielhauses hervorragend spielt und die im Grunde genommen auch packend von Daniel Karasek inszeniert sind. Trotzdem zieht sich gerade der erste Akt sehr in die Länge, so dass bei einem circa dreistündigen Theaterabend die eine oder andere Streichung durchaus sinnvoll gewesen wäre.
Geradezu sensationell ist das Bühnenbild von Lars Peter: Links die beeindruckende mehrstöckige Villa der Moors, rechts der Versammlungsplatz der Räuberbande. Dazwischen eine große Videowall, auf der während der Songs extra dafür hergestelltes Filmmaterial läuft. Zu Franz’ Lied “Wolf unter Wölfen” wird – nicht wirklich kreativ, aber definitiv faszinierend – ein Wolf, der die unterschiedlichsten Emotionen präsentiert, gezeigt. Wenn Amalia singt, ist sie beim Flanieren durch den Park oder die Villa mit sehnsuchtsvollem Blick zu sehen. Manchmal hat es sich das Kreativteam mit diesen Filmchen jedoch fast ein bisschen leicht gemacht. Im zweiten Akt gibt es z.B. eine Szene, in der die Räuberbande eine wüste Party feiert. Dazu singen bzw. grölen die Darsteller mit Flaschen in der Hand hin- und herhüpfend über die Bühne, die Hauptaktion findet aber als Film auf der Videowand statt: Hier sind die Räuber zu sehen, wie sie so richtig tabulos in einer Kneipe die Sau rauslassen. In der Intensität wäre es wohl kaum auf der Bühne darzustellen gewesen – trotzdem bleibt ein schaler Beigeschmack, weil in dieser und auch anderen Szenen mehr Kino als Theater geboten wird.
Formidable Schauspieler sind es, die hier auf der Bühne stehen. Allen voran Marko Gebbert, der als Franz seinem Vater schleimig-unterwürfig gegenüber tritt und erst im Selbstgespräch seinen Hass auf alles und jeden absolut überzeugend zum Ausdruck bringt. Oliver E. Schönfeld strahlt als Karl die natürliche Autorität aus, die ihn zum Anführer der Räuberbande macht, ohne dass er seine Mitstreiter überzeugen muss. Es ist faszinierend zu beobachten, wie er im ersten Akt Feuer und Flamme für die Idee der Räuberbande ist, im weiteren Verlauf aber immer mehr Zweifel aufgrund des moralischen Dilemmas seine Aktionen beeinflussen. Die Rolle der Amalia gibt in diesem sehr männerlastigen Stück ausgesprochen wenig her. Sie wartet sehnsüchtig auf ihren Karl, und hat dabei einige Szenen, in denen sie Franz’ Avancen energisch abwehren muss. Das macht Magdalena Neuhaus tadellos, auch ihre Balladen singt sie mit angenehmer Pop-Stimme und sticht damit gesanglich aus dem Ensemble heraus – ansonsten herrscht an diesem Abend viel Sprechgesang vor. Dennoch wünscht man ihrer Rolle ein bisschen mehr Biss. Immerhin bleibt ihr das extrem unterwürfige Ende aus Schillers Originaltext erspart.
Ein interessantes Experiment, das wieder einmal zeigt, wie aktuell einige der mehrere Jahrhunderte alten Dramen mit ein paar kleinen Änderungen und dem richtigen Regieansatz immer noch sein können. Bleibt zu hoffen, dass wir uns auch 2018 auf eine spannende Uraufführung freuen dürfen.
Nach Friedrich Schiller mit Songs von Marcus Wiebusch / Reimer Bustorff (Kettcar)
Textfassung: Daniel Karasek / Jens Paulsen
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