Regisseur Detlef Altenbeck packt in Hildesheim seine kreative Zauberkiste aus. In knapp zwei Stunden Spielzeit gilt es, dem toten Erbonkel Tony seinen letzten Wunsch zu erfüllen: Einmal Urlaub in Monte Carlo – und dabei ist alles erlaubt.
Die erste Idee scheint in der Hildesheimer Inszenierung meist die Beste und sei sie auch noch so grotesk. Oft sind szenische Lösungen auf diesem Weg erstaunlich einfach und auch überraschend. “Lucky Stiff” hat sicherlich nicht den Anspruch anspruchsvoll zu sein: Die Handlung ist vorhersehbar, der rote Faden ist eher ein Wollknäuel. Wer seichte Unterhaltung im Musicalgenre mag, wird gut unterhalten und bekommt einige schöne Bilder als Erinnerung mit nach Hause.
Mit Jürgen Brehm (Harry Witherspoon), Teresa Scherhag (Annabel Glick) und Elisabeth Köstner (Rita La Porta) sind die tragenden Rollen des Stücks allesamt mit relativ jungen und neuen Castmitgliedern besetzt. Brehms Witherspoon erinnert hier weniger an einen selbstständigen Schuhverkäufer im frustrierten Alltagstrott, und mehr an den schüchternen Waisenjungen Seymour aus dem “kleinen Horrorladen”. Das wirkt zu Beginn des Stücks in sich unlogisch. Nachdem sich die Handlung nach Monte Carlo verlagert hat, tritt dieser Aspekt in den Hintergrund und man hofft mit ihm auf die große Erbschaft. Immer auf seinen Fersen ist Teresa Scherhag als Vertreterin eines Hundeasyls zu sehen. Herrlich schüchtern und manchmal schroff hassen, lieben und singen sich die zwei durch das immer buntere Bühnenbild – naiv, mit Sehnsucht und Appetit darauf, etwas Gutes zu erreichen. Während Elisabeth Köstner in der Parallelproduktion “Dracula” eine sehr sachliche und organisierte Mina gibt, kreiert sie in “Lucky Stiff” eine total überdrehte Rita La Porta. Stacksig, mit schwachen Nerven und etwas hyperaktiv eilt sie über die Bühne und schießt allzu gerne mit ihrem Revolver umher. Zur Rolle passt’s, doch ihre Figur wird durch das Overacting auf die Dauer etwas anstrengend. Weshalb sie in zwei Szenen plötzlich Gitarre spielend auf der Bühne erscheint, erschließt sich nicht wirklich.
Insgesamt 10 Darsteller sind in über 40 Rollen zu sehen. Kommt es zu einer Überschneidung in der Besetzung, dann übernimmt auch schon mal eine Schaufensterpuppe eine der Rollen. Besonders positiv fallen Sandra Pangl und Alexander Prossek auf, die pointiert, mit gutem Timing und einer Portion Selbstironie fast die Hälfte aller Rollen übernehmen. Im Orchestergraben sitzen nur vier Musiker, aber bei “Lucky Stiff” geht es weniger um die Songs, die allesamt schnell aus dem Ohr verschwinden, als um die teils abstruse Entwicklung der Handlung. So bleibt die Musik in diesem Stück eher ein Beiwerk und fällt weder besonders positiv noch besonders negativ auf.
Das Bühnenbild in Hildesheim bietet viel fürs Auge. Den Beginn bildet eine nachgebauter Backstagebereich mit Schminkplätzen. Der Blick ist frei auf die Kulissenzüge und bis hin zur Rückwand des Bühnenraums. Dank gezielter Spotbeleuchtung entstehen mit einfachsten Mitteln verschiedene Schauplätze irgendwo in England. Fehlende Requisiten denkt sich der Betrachter, lediglich die zeitgleich stark agierenden Darsteller an den Schminktischen lenken immer wieder vom Geschehen ab. Was im ersten Teil des Stücks an Bühnenbild fehlt, legt Bettina Köpp (Ausstattung) mit der Reise nach Monte Carlo nach. Plötzlich werden Gassen und Backdrop eingesetzt, aufblasbare Plastikpalmen, Holzhunde, schrille Kostümwelten (Auch ein Rouletterad kann ein Kostüm sein!), neonfarbene Hundemasken im Schwarzlicht, ein opulenter Raff-Vorhang mit Monaco-Projektion und vieles mehr schieben sich in den anschließenden Szenen nach und nach von allen Seiten auf die Bühne. Dabei sind immer nur wenige, aber passende Elemente auf der Bühne zu sehen. Die Umbauten erledigen die Darsteller im Kostüm. Lediglich die Abläufe scheinen hier nicht optimal: Durch zu wenige helfende Hände ziehen sich die Umbauten unnötig in die Länge.
Ein kleines Highlight am Rande ist das Programmheft. Eigentlich kann man zu “Lucky Stiff” wenig sinnvolle Beiträge in so ein Heft setzen – ein gesellschaftlicher Diskurs der Handlung wird schwierig. Dafür gibt es ein Brettspiel zum Heraustrennen mit nach Hause. Zudem allerlei Tipps zum Umgang mit der Angst vor Hunden, die auch Harry Witherspoon sicherlich geholfen hätten.
Die Schauspieler in Hildesheim geben alles, das Bühnenbild ist schillernd und viele Umsetzungsideen sorgen für spontane Lacher. Dennoch reißt es beim Schlussapplaus zunächst niemanden aus den Stühlen. Und genau hier scheint die Schwierigkeit zu liegen. Der Versuch, der recht schlichten Handlung mit viel Tempo zu begegnen, schießt über das Ziel hinaus. Nach zwei Stunden scheinen die Eindrücke viele Zuschauer erschlagen zu haben, es mag sich kein Gesamtbild formen. Vielleicht wäre an einigen Stellen etwas weniger Zauberkiste doch mehr gewesen. Nicht alles was möglich scheint, muss auch immer möglich gemacht werden.
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