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Die bühnenwirksame Geschichte von den armen Bauern und ihrem Überfall auf einen Geldtransport, die sich in der Nähe des Aufführungsortes zugetragen hat, ist ein guter Griff für die Schlossfestspiele. Open-Air-Musical-Hopper sollten Biedenkopf ihrem Kalender hinzufügen, denn in der mittelhessischen Provinz bietet man ambitioniertes, gut umgesetztes Musiktheater.
Man muss aber schon wirklich hinwollen nach Biedenkopf. Ziemlich abseits liegt das beschauliche Städtchen, auf dessen Berg das Landgrafenschloss thront. Aber von Provinzialität ist bei den Schlossfestspielen wenig zu spüren. Das Team hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Man will hier neue, deutschsprachige Musicals mit regionalhistorischen Themen uraufführen, umgesetzt mit einer Handvoll Profis und Dutzenden regionalen Talenten. Nach “Eingefädelt” (Uraufführung 2013, Wiederaufnahme 2014), ist “Der Postraub” wieder eine Zusammenarbeit von Birgit Simmler (Buch, Liedtexte, Regie) und Paul Graham Brown (Liedtexte, Musik).
Das Stück basiert auf einer wahren Begebenheit aus den Jahren 1821/22: Der junge Soldat Heinrich Geiz hat Frau und Kind. Sie leben in wilder Ehe zusammen, denn der Gemeinderat erlaubt Heirat nur, wenn man ein Vermögen vorweisen kann. Heinrichs jüngerer Bruder Jacob, ein Tagelöhner, der die Familie nur minimal unterstützen kann, ist in Margarethe verliebt, doch sie ist bereits mit dem wesentlich älteren Großbauern Klaus verheiratet. Um ihrer Armut und dem ungeliebten Ehemann zu entkommen, träumen die beiden von einer Flucht nach Amerika. Gemeinsam mit Vater, Schwager und anderen Freunden aus Kombach und Umgebung überfallen die Brüder nach mehreren erfolglosen Versuchen schließlich die Postkutsche mit Steuereinnahmen auf dem Weg von Biedenkopf nach Gießen. Über Nacht werden aus den armen Bauern aus heutiger Sicht Millionäre. Die Obrigkeit beginnt einen kriminalistischen Feldzug gegen die Posträuber.
Die historische Geschichte, die schon Volker Schlöndorff in seinem Film “Der plötzliche Reichtum der armen Leute von Kombach” (1971) verarbeitete, bekommt durch fünf syrische Flüchtlinge, die im Ensemble stumm und in kleinen Sprechrollen mitspielen, eine Anbindung an die aktuellen Ereignisse. Die Flucht aus unzumutbaren Zuständen im eigenen Land in ein neues Leben war das Schicksal vieler armer Deutscher im 19. Jahrhundert und lässt sich auf die heutige Zeit übertragen.
Komponist Paul Graham Brown hat mit “Der Postraub” nach “Superhero” in Wiesbaden und “Der große Houdini” in Hof seine dritte Uraufführung in 11 Monaten. Eine beachtliche Anzahl! Er steigt schon vielversprechend mit “Die Kutsche” in sein Stück ein. Der Chor besingt die Fahrt der Postkutsche durch den Wald, über unebene Wege und durch eine gefährliche, enge Stelle, die nur langsam und vorsichtig passiert werden kann, wo dann auch später der Überfall stattfinden wird. Die holprige Fahrt der Kutsche ist im Song klangmalerisch und mit tückischen Rhythmen umgesetzt. Das Tempo wird der Fahrt entsprechend mal gedrosselt, mal angezogen. Die Kutsche ist lebendig, sie wird beeindruckend von Ensemblemitglieder dargestellt, die das Gestänge und die Achsen mit den Rädern halten. Sie tragen braune Kutten, was dieser Kutsche etwas Gespenstisches verleiht. Dadurch und durch ihre fließenden Bewegungen (Choreographie: Tim Zimmermann) verschmelzen sie zu einer Einheit.
Brown, der auch selbst die engagiert spielende fünfköpfige Band vom Piano aus leitet, hat für den “Postraub” große Ensemblestücke, emotionale Balladen und humorvolle Lieder geschrieben. Motive wiederholen sich an passenden Stellen und bleiben lange im Ohr. Seine Arrangements sind zwar nur so detailliert, wie es die kleine Besetzung erlaubt, aber durchaus einfallsreich.
Birgit Simmler führt in ihrem Buch die Figuren gut ein. Der erste Akt ist mit viel Musik und Aktion sehr temporeich und endet mit dem endlich geglückten Raubzug. Der Teil nach der Pause konzentriert sich auf die geplante Flucht von Jacob und Margarethe und die Suche der Behörden nach den Räubern, für die es immer enger wird. Die zweite Hälfte ist deutlich textlastiger und hat einige Längen. Vielleicht hätte der eine oder andere handlungstragende Song mehr, z.B. beim Verhör, dem Stück gutgetan.
Die Dialoge sind mit heutigen, sehr modernen Ausdrücken gespickt, etwa wenn Mutter Geiz “mal eine Wortmeldung abgeben” will, Jacob Personen mit “Hi!” begrüßt, Bauer Klaus ihn als “Frauenversteher” beschimpft oder Jacob meint, der wütende Klaus solle “doch mal runterkommen”. Das passt nicht, auch wenn man kein Deutsch erwartet, wie es im frühen 19. Jahrhundert gesprochen wurde.
Als Regisseurin macht Simmler ihre Sache gut und inszeniert sehr lebendig. Sie nutzt die Gegebenheiten des kleinen Schlosshofs aus, lässt die Darsteller durchs Publikum auftreten, bespielt sich bietende Mauern, Brüstungen, Treppen und vorhandenen Türen, wofür manche Zuschauer sich ganz schön den Kopf verdrehen müssen. Die Bühne selbst ist den Umständen entsprechend kahl, was nicht stört, denn sie hat den Turm zur Abrundung des Bildes im Hintergrund. Das Bühnenbild besteht nur aus zu einer Wand aufgestellten Holzrahmen und herumliegenden Wagenrädern, die für diverse Aktionen benutzt werden. Manches ist sinnvoll und originell, aber in einem schräg stehenden Wagenrad einen Wildschweinbraten und in einem kleinen Holzrahmen ein Stück dieses Bratens zu sehen, fordert dem Publikum schon eine gehörige Portion Fantasie ab.
Das Ensemble besteht aus Profis und Amateuren, die sich, ob Kinder oder Senioren, mehr als wacker in großen und kleinen Rollen schlagen. Patrick Miller als Jacob Geiz vermittelt Schlitzohrigkeit, Verliebtheit, jungenhaften Enthusiasmus und Verzweiflung seiner Figur gleichermaßen nachvollziehbar. Als sein Bruder Heinrich steht Markus Pol auf der Bühne. Er stellt präsent und glaubhaft dessen Zweifel und Gefühle dar. Trotz starker Stimme überzeugt er gesanglich allerdings nicht durchgängig, weil er an hohen Stellen ordentlich pressen muss.
Birgit Klinkert meistert die anspruchsvolle Rolle der Mutter Geiz. Sie setzt ihre Pointen, wird aber nicht zur Witzfigur, weil sie Angst und Sorgen ihrer Figur überzeugend ausdrückt. Margarethe, die unglücklich verheiratete Geliebte von Jacob, wird mit großer Natürlichkeit, Ausstrahlung und vielversprechender Stimme von Karoline Blöcher verkörpert. Ihr “Amerika” ist der emotionale Höhepunkt des Abends. Ihr Ehemann Klaus bleibt in der Darstellung von Peter Hohenecker kein eindimensionaler Bösewicht. In seinem Solo “Seid Ihr Gatte, Herr” gelingt es ihm, ungeahnte Emotionen dieser Figur zu zeigen.
Carsten Wenzel hat als Criminal-Inspektor Danz im ersten Teil die Erzählerrolle inne und taucht erst im zweiten Teil in der Handlung auf. Seinen Song “Minderbegüterte” singt er mit entsprechend herablassender Arroganz. Bühnenpräsenz und sehr gute Aussprache sind ihm nicht abzusprechen, aber er zerstückelt seine Sätze durch unnötige dramatische Pausen. Da ausgerechnet seine Rolle sehr textlastig ist, bremst diese affektierte Sprechweise den Fluss der Szenen und trägt zusätzlich zu den schon oben angesprochenen Längen im zweiten Akt bei.
“Der Postraub” wird verdienterweise vom Publikum mit viel Begeisterung aufgenommen. Die Geschichte ist universell und funktioniert auch ohne regionale Anbindung. Vor allem andere Freiluftbühnen, die neue Wege jenseits der ausgetretenen Pfade gehen wollen, sollten einen Blick auf diese musikalische Geschichtsstunde werfen.
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KREATIVTEAM |
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Musik | Paul Graham Brown |
Regie | Birgit Simmler |
Choreographie | Tim Zimmermann |
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CAST (AKTUELL) |
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