Ein wahrer Kriminalfall liefert die Grundlage für Stephen Dolginoffs düsteres Kammermusical: In den 1920er Jahren entführen und ermorden zwei Studenten aus gutem Hause auf der Suche nach Nervenkitzel und dem “perfekten Verbrechen” einen kleinen Jungen. Die Coburger Inszenierung von Constanze Weidknecht überzeugt dank eines hervorragenden Darsteller-Duos.
Die kleine Studiobühne der Reithalle ist kaum beleuchtet, wenn Nathan Leopold (Manuel Dengler) den Raum betritt, auf einem Stuhl Platz nimmt und zu seiner nunmehr fünften Bewährungsanhörung die strengen Fragen aus dem Off beantwortet. In Rückblenden führt Nathan Bewährungskommission und Zuschauer dreißig Jahre zurück und erzählt von seiner destruktiven Beziehung zu dem charismatischen Richard (Andreas Langsch). Das Kräfteverhältnis der beiden scheint von Anfang an klar: Richard ist arrogant, manipulativ und zeigt soziopathische Züge. Er weiß gekonnt, die an Hörigkeit grenzende Bewunderung des eher schüchternen Nathan auszunutzen und ihm gerade soviel zu geben, um sich seiner bedingungslosen Loyalität sicher zu sein. Brandstiftung und kleinere Raubüberfälle langweilen Richard schon bald; er möchte ein Verbrechen begehen, das seiner würdig ist: einen Mord, den man ihm nicht nachweisen kann.
Die beiden Darsteller gehen ganz in ihren Rollen auf und verkörpern diese so glaubhaft und dreidimensional, dass man die Faszination, die von Richard ausgeht, durchaus nachvollziehen kann, selbst wenn man seine Manipulation als solche erkennt. Man empfindet Mitleid mit Nathan, der beim grausigen Verbrechen eher wie ein unbeholfener Mitläufer wirkt und vergeblich um Richards Liebe und Anerkennung kämpft. So ist die letzte gemeinsame Szene der beiden um so erschreckender und sorgt dafür, dass einem das Blut in den Adern gefriert, wenn Nathan seine wahren Beweggründe offenbart und klar wird, dass er Richard immer einen Schritt voraus war.
Manuel Dengler und Andreas Langsch gelingt es, die Vielschichtigkeit der Beziehung zwischen Nathan und Richard überzeugend und jenseits von Klischees darzustellen. Mit klaren, angenehmen Stimmen interpretieren die beiden Stephen Dolginoffs anspruchsvolle Partitur und besonders die strahlende Stimme von Langsch bleibt im Gedächtnis. In den Zwischenszenen der Bewährungsanhörung gibt Dengler einen verbitterten, desillusionierten Nathan, der zwar optisch (aufgrund der schnellen Szenenwechsel) nicht gealtert ist, aber dank veränderter Mimik, Haltung und Stimmlage dennoch merklich älter wirkt.
Begleitet wird das Darsteller-Duo vom musikalischen Leiter Dominik Tremel am Piano, der besonders die leiseren Passagen einfühlsam untermalt. Wenn er allerdings kräftiger in die Tasten haut, versagt die Tonabmischung und der durchaus kraftvolle Gesang wird von der noch lauteren Klaviermusik streckenweise verschluckt.
Tremel und sein Piano stehen seitlich am Bühnenrand – ansonsten besteht die Szenerie aus zwei beweglichen Treppenkonstruktionen, ein paar Sitzmöbeln und diversen kleineren Requisiten. Nichts Spannendes oder Opulentes – aber durchaus ausreichend, um dem intimen Zwei-Personen-Stück den passenden Rahmen zu geben. Die Bühne bleibt das ganze Stück hindurch der Stimmung angemessen düster und karg. Zuviel Drumherum würde beim Seelenstriptease nur stören. Einen kleinen Störfaktor gibt es schließlich aber trotzdem: die große Projektionsleinwand am hinteren Bühnenende, die ab und an Fotos oder Abstraktes zeigt, was man aufgrund der Beleuchtung z.T. nur schemenhaft erkennen kann. Das ist deshalb nicht schlimm, weil das Gezeigte inhaltlich völlig überflüssig ist, aber trotzdem zieht die Leinwand immer wieder die Blicke auf sich und lenkt vom Geschehen ab.
Letztendlich rückt das aber – ebenso wie die Akustikprobleme – in den Hintergrund und gerät angesichts der emotionalen Intensität und Dramatik, die das beklemmende Kammerspiel bereit hält, schnell in Vergessenheit. Alles in allem eine überaus gelungene Inszenierung eines inhaltlich wie auch musikalisch nicht ganz einfachen, aber dafür umso fesselnderen Stückes.
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