Gelungene, kurzweilige musikalische Geschichtsstunde mit Originalmaterial aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. James Lyons’ Musiktheaterstück tritt den Beweis an, dass auch eine Compilation-Show durchaus anspruchsvoll sein kann.
Sobald die Kirchenglocken zu läuten beginnen, reißt es die drei Pennäler auf der Bühne förmlich von ihren Schulbänken. Endlich geht es los! “Krieg als königliches Geschenk. Der ehrliche Krieg”, frohlockt die Lehrerin (mit schönem runden Sopran: Katharina Koch), eine blonde Germania im bodenlangen, feuerroten Kleid. Nach einer Blitz-Tauglichkeitsuntersuchung überreicht sie jedem Junior-Soldaten seine Ausrüstung: jeweils mit Zeitungsschnipseln beklebte Pickelhaube und Tornister, eine graue Uniformjacke und ein schwarzes Holzgewehr (Ausstattung: Olga Lunow). Und schon geht’s voller Vorfreude, mit viel Patriotismus und Hurra in Richtung Front. Das als Erster Weltkrieg in die Geschichtsbücher eingegangene Völkergemetzel – hier ein verniedlichendes Kinderspiel?
Das ist ganz und gar nicht der Ansatz von James Edward Lyons, der aus Anlass des Gedenkjahres zum Kriegsausbruch vor einhundert Jahren in akribischer Kleinarbeit eine Collage aus deutsch-vaterländischer Propaganda, Feldpostnachrichten, Durchhalteparolen sowie Augenzeugen- und Zeitungsberichten zusammengestellt hat. Gemeinsam mit den Archiven entnommenen Tschingderassabum-Gassenhauern, Hurra-Liedern und Heimat-Schmachtfetzen formt er eine mahnende, bedrückende Revue. Schnell reißt der regieführende Autor sein Publikum weg von der mit explosiver Begeisterung aufgenommenen Mobilmachung im deutschen Kaiserreich hin zur Realität. Das sind kräftezehrenden Märsche, Einsamkeit im Gefechtsgraben, Giftgasangriffe und Fronttheater. Lyons bitteres Fazit: Überzogener Patriotismus bringt Verzweiflung, Untergang und Tod – musikalisch – mit zackigem wie empfindsamem Pianospiel von der Seitenbühne aus begleitet (Ferdinand von Seebach). Und auch die vormals artig frisierte, knallharte Germania ist zum Schluss zerzottelt und wirkt verstört.
James Lyons erzählt die Kriegserlebnisse schonungslos und direkt. Olga Lunows mit einer Schultafel und drei Bänken dekorierter Bühnenraum, der durch eine schräg gestellte gelbgrüne, Begrenzungswand im Hintergrund dominiert wird, ist dafür äußerst zweckdienlich. Mit Hilfe schmuddelig-grauer Tücher entsteht aus den aufeinandergestapelten Bänken im Handumdrehen ein Schlachtfeld nebst Barrikaden. Durch eine bühnenbreite schmale Vertiefung im Spielpodest wird die Illusion eines Schützengrabens erzeugt.
Die fast ständig auf der Bühne präsenten Frank Brunet, Boris Freytag und Sven Tjaben geben hier in verschiedenen Rollen engagiert und sehr authentisch das menschliche deutsche Kriegsmaterial, aber auch deren Gegner und Vorgesetzte. Brunet sticht aus dem Darstellertrio nicht nur durch seine in hohen wie tiefen Lagen sichere wie makellose Stimme hervor. Auch glänzt er als Feind mit französischem Akzent, der am Weihnachtsabend mit seinen deutschen Kontrahenten im Schützengraben säuft. Mit hörbaren, stimmlichen Problemen, vor allem in hohen Lagen, kämpft Sven Tjaben. Boris Freytags profunder Bass gefällt, allerdings trifft der Sänger in höheren Lagen nicht immer jeden Ton richtig.
Zum finalen “Es waren drei Gesellen” stehen Brunet, Freytag und Tjaben im Schützengraben und streifen sich die Uniformjacken ab. Auf die Hintergrundwand werden die Kriegsgreuel als Film projiziert. In schlichten schwarzen Shirts singen sie ein Abschiedslied und stellen fest, dass am Ende nur der Tod der Sieger sein könne. Das Licht erlischt und im Zuschauerraum herrscht für einige Momente bedrückende Stille.
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