Aufgrund von Sanierungsarbeiten steht der große Saal des Theater Hagen zu Beginn der Spielzeit noch nicht zur Verfügung, sodass die Inszenierung auf die sehr viel kleinere Bühne im “opus” zugeschnitten wurde. Ein großer Gewinn, denn ein intimer Rahmen hat sich schon mehrmals als vorteilhaft für die Geschichte aus dem Berliner Kit Kat Club herausgestellt.
So beginnt die Inszenierung bereits im kleinen Foyer, wenn die Kit-Kat-Girls und -Boys und der Conférencier die Besucher mit der ersten Hälfte von “Willkommen” begrüßen. In den darauf folgenden Minuten betreten die Besucher zur Musik der 30er Jahre den eigentlichen Theatersaal und sind somit bestens auf die Zeit und die Lokalität der Inszenierung eingestimmt.
Leider fehlt besonders im folgenden ersten Akt der Schwung und die Energie, um der Langatmigkeit entgegen zu wirken. Die Bühne, die ein wenig an eine Zirkusmanege erinnert und mit Hilfe von einem Zwischenvorhang auch schnelle Bühnenbildwechsel zulässt, wird genauso wie der komplette Theatersaal (besonders der Mittelgang zwischen den Zuschauern) abwechslungsreich bespielt. Sie garantiert eine große Nähe zum Publikum und gerade das Ensemble bemüht sich redlich, das Publikum zu involvieren, doch der Funke will zumindest in der besuchten Vorstellung nicht überspringen.
Vielleicht liegt es auch an der allzu sterilen und biederen Ausstattung. Alles wirkt sehr glatt und “sauber”, besonders die Kostüme der Kit-Kat-Girls und -Boys lassen jeglichen verruchten Charme vermissen, alles sitzt perfekt und zu korrekt. Das Cabaret wirkt wie ein steriles Örtchen für Rentner und nicht wie eine sexuell aufgeladene Lokalität, in der Existenzen und Hoffnungen zu Grunde gehen und Träume vom großen Ruhm drittklassiger Darsteller nicht erfüllt werden.
Zusätzlich hat sich Regisseur Thilo Borowczak entschieden, die Reihenfolge einiger Songs abzuändern, sodass beispielsweise “Mein Herr” erst im weitaus stärkeren und intensiveren zweiten Akt nach dem Titelsong und somit direkt vorm Finale zu sehen ist. Insgesamt scheinen diese Änderungen dem Tempo im ersten Akt mehr geschadet zu haben und auch der nationalsozialistische politische Hintergrund und die schlechte Wirtschaftslage verlieren dadurch an Prägnanz. “Tomorrow Belongs to Me” ertönt nun erst zum Finale des ersten Aktes und eröffnet mehr oder weniger als Reprise den zweiten Akt.
Gegen diese Schwächen versucht Henrik Wager als Conférencier anzuspielen, doch bleibt er insgesamt ein undefinierbarer Kommentator, der manchmal an den Wahnsinn von Batmans Gegenspieler Joker erinnert, und dessen eigentliche Intention man nicht herauslesen kann. Aber vielleicht ist das so gewollt? Gesanglich ist Wager weitaus anspruchsvollere Partien gewohnt und hat überhaupt keine Probleme mit der vergleichsweise leichten Partitur. “I Don’t Care Much” fehlt leider, und somit hat man auf die Chance verzichtet, dem Conférencier einen stillen Moment und eine klarere Aussage und Haltung zu geben.
Marysol Ximénez-Carillo als Sally Bowles scheint fast den ganzen Abend über mit angezogener Handbremse zu spielen und zu singen. Die exzentrische Haltung ihrer Sally Bowles wirkt manchmal einstudiert und gehemmt. Auch gesanglich wünscht man sich das ein oder andere Mal mehr Power und mehr Gefühl. Erst kurz vorm Finale bei “Mein Herr” scheint sie ganz auszubrechen und sich gehen zu lassen. Ein wirklich toller Moment mit einer tollen Choreografie von Barbara Tartaglia, die sich von Bob Fosse inspirieren ließ.
Die stärksten Auftritte haben schließlich Werner Hahn als Herr Schultz und Sylvia Rentmeister als Fräulein Schneider. Gekonnt spielen sie ihre Szenen mit Tiefgang, Gefühl und einer wundervollen Chemie, die berührt und zu Herzen geht. Die zarte und zurückhaltende Annäherung, der Liebestaumel, der Optimismus und die Freude auf eine gemeinsame Zukunft und letztendlich der Zweifel und die Trennung von Fräulein Schneider aufgrund des aufkeimenden Nationalsozialismus‘ werden wunderbar dargestellt und ausgelotet. Während Werner Hahn gesanglich souverän seine Lieder gibt, ist Sylvia Rentmeister bei Weitem keine Sängerin und hangelt sich mit Sprechgesang durch ihre Songs. Ein kleiner Makel, der durch das tolle Schauspiel wieder wett gemacht wird.
Zusammenfassend bleibt eine solide etwas zu sterile Inszenierung zurück, die besonders im zweiten Akt überzeugt und mit starken Momenten aufwarten kann. Mehr Energie, Schwung und vielleicht auch Spielfreude würden den etwas trägeren ersten Akt sicherlich noch aufwerten.
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