Marcus Melzwig (Tommy) © © Dorit Gätjen
Marcus Melzwig (Tommy) © © Dorit Gätjen

Tommy (2012 - 2013)
Volkstheater, Rostock

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„Tommy” in Rostock zeigt exemplarisch, was passieren kann, wenn ein staatlich subventioniertes Haus „mal eben” den Quoten-Bringer Musical auf die Bühne bringen will. Es fehlen ein mit dem Genre vertrauter Regisseur, für das Stück geeignete Sänger und Darsteller und eine darauf ausgerichtete Tonanlage.

Sonnenbrille auf der Nase, schwarzes Heftpflasterkreuz auf dem Mund und Gehörschutz auf den Ohrmuscheln. Die acht Menschen, die sich um Tommy und sein Kinder-Alterego scharen, drücken damit ihre Verbundenheit zu ihm aus. Doch wieso?

Immerhin dieses eine starke Bild hat Thomas Winter für das Finale seiner ansonsten statisch-langweiligen Inszenierung gefunden. Im Löwenanteil der Vorstellung arrangiert er das handelnde Personal, das oft in Zeitlupe agiert, frontal zum Publikum und deutet die Handlung eher verschämt an. Somit muss der durch einen (hier eher beiläufig verübten) Mord traumatisierte Titelheld entgegen der Vorgaben des Buches auf der Bühne weder einen sexuellen Missbrauch erdulden, noch wird der Junge körperlich gequält oder von Scharlatanen mit synthetischen Drogen therapiert. Immerhin erspart das Eltern, die den Rostocker „Tommy” gemeinsam mit ihrem Nachwuchs besuchen (in der rezensierten Freitagabend-Vorstellung sitzen überraschend viele Kinder), die ein oder andere vielleicht peinliche Erläuterung.

Wenig überzeugend gelingt auch der Aufstieg des in seine Welt gekehrten Jugendlichen zum gefeierten Flipper-Helden. Fast unbeweglich, nur mit leicht zitternden Handgelenken, steht er einsam vor einer von Grautönen dominierten Animation mit Laborcharme (Video: Andreas Ehrig). Wie kann jemand, unbemerkt von der Öffentlichkeit, zu einem gefeierten Idol aufsteigen?

Nicht allein durch seine harmlose und Tristesse versprühende Deutung nimmt der Regisseur dem Stück seine psychologische Tiefe. Der Rostocker „Tommy” verliert auch durch die Entsorgung von Dialogen und die Einsparung von Bühnenpersonal in einem wenig inspirierten Fundus-Kostümbild (Jenny-Ellen Fischer) an Kraft. Richtig ärgerlich an dieser zur Kammerversion gestutzten Rockoper ist allerdings, dass dem Publikum der Zugang zum Stück zusätzlich erschwert wird, indem die Songs in einer kruden Mischversion gesungen werden, in der innerhalb einzelner Strophen oder Textzeilen das englische Original auf die deutsche Übersetzung trifft. Vielleicht hätte der für diese Melange Verantwortliche etwas mehr Fingerspitzen haben sollen, denn wenn zum Beispiel Onkel Ernie bei seinem optisch unsichtbaren, sexuellen Übergriff für alle verständlich vom „Nachthemdchen” singt, dann sollte entweder sein kindliches Opfer keinen weißen Anzug tragen oder die englische Version bemüht werden.

Von der Regie verhunzte Musicals lassen sich zuweilen durch die musikalische Umsetzung heilen, doch auch hier zeigen sich Defizite. Ein Manko ist die schlecht ausgesteuerte Tonanlage, deren wummernder Klangbrei fast permanent die Stimmen übertönt und die auf der linken Bühnenseite im 45-Grad-Winkel platzierten Projektionsflächen vibrieren lässt. Rechts davon steht ein Zweietagengerüst mit Flügeltüren im Parterre, auf dem die Band thront. Bühnenbildnerin Geertje Jacob rückt die Musiker damit ins Zentrum des nur im vorderen Drittel bespielbaren Bühnenraumes und unterstreicht damit auch optisch den Eindruck eines bebilderten Konzerts. Immerhin rocken Wolfgang Schmidt (musikalische Leitung) und seine Mannen mit viel Freude durch die Partitur von Pete Townshend.

Mit Ausnahme von Jacqueline Boulanger, die als Acid Queen nach der Pause mit großer, wohltönender Röhre den Tücken der Tonanlage trotzt, ist der akustische Eindruck eher zwiespältig. Während sich Peer Roggendorf (Onkel Ernie) mit gequetschtem Sprechgesang durch seine beiden Soli mogelt, ist Manuel Dengler ein wenig bedrohlicher, dafür schmieriger Cousin Kevin mit dünner Stimme. Als verzweifeltes Elternpaar lassen Sonja Dengler und Björn-Ole Blunck mit angenehmem Timbre aufhorchen, sind allerdings ebenso Opfer der Technik wie Marcus Melzwig in der Titelrolle. Als erwachsener Tommy hat er zwar die meisten Gesangsaufgaben, wirkt allerdings überfordert und stößt hörbar an seine stimmlichen Grenzen. Lukas Möller als kindliches Pendant spielt seine nahezu stumme Rolle eindringlich und bedrückend.

Die besuchte, dritte Vorstellung endet vor ausverkauftem Haus mit stehenden Ovationen und großem Jubel für die Darsteller.

Musik und Gesangstexte von Pete Townshend
Libretto von Pete Townshend und Des McAnuff
ergänzende Musik von John Enthwistle und Keith Moon

 
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KREATIVTEAM
InszenierungThomas Winter
BühneGeertje Jacob
KostümeJenny-Ellen Fischer
VideoAndreas Ehrig
Musikalische LeitungWolfgang Schmiedt
 
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CAST (AKTUELL)
TommyMarcus Melzwig
Der junge TommyLukas Möller
Mrs. WalkerSonja Cariaso [Sonja Dengler]
Mr. WalkerBjörn-Ole Blunck
Cousin KevinManuel Dengler
Onkel ErniePeer Roggendorf
Liebhaber, Hawker, SpezialistTim Ehlert
Acid QueenJacqueline Boulanger
FrauenPetra Gorr
Anna Josephine Thamm
Marlen Ulonska
MännerManuel Dengler
Tim Ehlert
Peer Roggendorf

Band
E-Gitarre, GesangChristian Kuzio
Schlagzeug, GesangMartin Pollok
KeyboardFalk Bonitz
BassgitarreJan Soutschek
AkustikgitarreWolfgang Schmiedt
PosauneJörg Huke
  
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TERMINE
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 07.09.2012 19:30Volkstheater, RostockPremiere
Sa, 08.09.2012 19:30Volkstheater, Rostock
So, 09.09.2012 18:00Volkstheater, Rostock
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