Der deutsche Schlager lebt! In dieser von Sebastiano Meli aberwitzig inszenierten Revue geben sich die großen Hits, aber auch Unbekannteres aus den 1970ern ein Stelldichein. Auch nach den Zugaben tobt das begeisterte Publikum und mag die bei den Damen etwas inhomogene Darstellerriege nur ungern wieder von der Bühne lassen.
Nach “Moskau” kommt Mogadishu. Mit versteinerten Mienen verkündet das sechsköpfige Ensemble Fakten zur tragisch endenden Flugzeug-Entführung im Oktober 1978. Licht aus. Vorhang zu. Irritiert wird das Publikum in die Pause entlassen.
Auch wenn der Baader-Meinhof-Terrorismus zu den 1970ern in der Bundesrepublik gehört wie der damals als schlüpfrig empfundene “Schulmädchen-Report” oder die küchenverschönernden Pril-Blumen: das Geiseldrama wirkt in dieser Show, die ganz auf Spaß und die Wiederbegegnung mit alten musikalischen Bekannten setzt, wie ein grober Klotz.
Nach der Unterbrechung hat das Publikum die schwere Kost längst verdaut und genießt Sebastiano Melis spaßig inszenierte Zeitreise in die schrillbunte Schlagerwelt in vollen Zügen. Wie bereits zu Showbeginn aufgefordert, singt der Saal “Anita”, “Ein Bett im Kornfeld” oder die “Biene Maja” aus voller Kehle mit, schwenkt die Arme über dem Kopf und amüsiert sich wie Bolle. In der Vorlage von Frank Thannhäuser werden revuehaft Schlagerblöcke mit wichtigen Aspekten der Dekade vermixt. Regisseur Meli gibt hier dem Affen gehörig Zucker. So wetteifern zum Beispiel drei Darstellerinnen in Mireille Matthieu-Optik gleichzeitig um die Gunst des Publikums und eine verschämte Anfrage an Jugendaufklärer Doktor Sommer untermalt “Der Junge mit der Mundharmonika” – geschmachtet von einem Sänger, der sinnliche Blicke ins Publikum wirft und sich mit frivolen Zuckungen und Gesten am Mikrofonständer windet. Wenn das Thema “reife Frau verführt jungen Mann” mit Hilfe von zwei geschickt hintereinander montierten Titeln (“Er war gerade 18 Jahr”, “Es war Sommer”) aus beider Perspektiven erzählt wird, dann verlässt der Abend das oft platte Spaßniveau und wird zu intelligent gemachter Unterhaltung.
Wer nicht farbenblind ist, wird optisch sowohl beim schrill-zeittypischen Kostümbild als auch beim mit buntem Riesenlametta behängten Bühnenraum nebst rot-rosa Zwischenvorhang (Ausstattung ebenfalls Sebastiano Meli) mit einer Überdosis an grafischen Mustern und geschmacklichen Absonderheiten konfrontiert. Keine Frage, die 1970er werden hier kräftig überzeichnet, was allerdings wunderbar mit den vorgetragenen Schlagertexten harmoniert, die häufig wie ihre eigene Parodie wirken.
Wenn die musikalische Begleitung aus der Konserve eingespielt wird, leidet häufig deren Qualität. Bei dieser Aufführung gehört die Tonspur von Steven Desroches zur besseren Sorte, ihr elektronischer Ursprung fällt nicht zu stark ins Gewicht. Problematischer ist hingegen die gesangliche Leistung zweier Darstellerinnen. Ines-Maria Jaeger verwechselt guten Gesang zu oft mit Volumen und übertönt mit unangenehm scheppernden Höhen die Ensemble-Nummern. Immerhin verfügt sie über eine solide Mittellage. Wenn Patricia Grove ihre Soli wie “Am Tag als Conny Kramer starb” mit leicht belegt klingender Stimme singt, dann zeigt sich ihr größtes Manko: Mangelhafte Intonation. Am ehesten gelingt ihr schrubberschwingend die musikalisch nicht sehr anspruchsvolle Hausfrauenklage “Das bisschen Haushalt”.
In den Ensemblenummern mit den für die Mini-Bühne effektvoll arrangierten Tanzschritten (Choreografie: Morgan O’Brien) reißen die anderen vier grandiosen Darsteller ihre Kolleginnen jedoch mit. Judith Schäfer ist eine Erzkomödiantin mit geschmeidiger und wandlungsfähiger Power-Stimme, die als gelangweilte Kastagnetten-Spielerin auch in einer stummen Rolle ihre enorme Bühnenpräsenz ausspielt. Mit geschmeidigem Bassbariton bringt Sebastian Stipp jede noch so klischeehafte Schlagerpose mit großer Begeisterung über die Rampe, nur noch getoppt von Lars Kemter als fast nackter Schlagerbarde Heino. Stipp und Kemter wirken stimmlich bei den Schlagern fast schon unterfordert. Als schmierig-süffisanter Moderator kokettiert Morgan O’Brien mit seinem amerikanischen Akzent. Sein schöner Poptenor komplettiert die hervorragenden Gesangsleistungen bei den Herren.
Ganz nebenbei erfüllt diese Revue auch einen Bildungsauftrag, indem sie die Bedeutung von Hossa enträtselt. Wem die gleichnamige Stadt in Finnland weiterhin fremd ist, der huldige weiter dem Schlachtruf des Schlagerkults. Mehr als eine Gelegenheit dazu bietet diese Show.
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