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Musical-Geschichtsstunde hautnah. In einem ungewöhnlichen Raum-Konzept werden die Erlebnisse des Amerikaners Clifford in Nazi-Deutschland mitten ins Publikum verlegt. Einem überragenden Conférencier steht eine fehlbesetzte Sally Bowles gegenüber.
Deutschland ist am Boden. Wie tot liegt das Ensemble im Finale verstreut auf der Bühne. Einzig der Conférencier steigt feixend über die reglosen Körper hinweg. Sally stimmt “Ich lie-be das Ca-ba-” an, die abschließende Silbe schafft sie nicht mehr. “Gute Nacht” haucht der Conférencier bevor das Licht erlischt. Im dunklen Zuschauerraum herrscht für einige Augenblicke betroffene Stille. Schön, wenn ein Regisseur sein Publikum so berühren kann.
Michiel Dijkemas Inszenierung hat allerdings Anlaufschwierigkeiten und überzeugt erst im zweiten Teil der Show. Vor der Pause lässt der Regisseur die Handlung so lieb und brav nachspielen, dass die Befürchtung aufkeimt, in Neubrandenburg könnte “Cabaret” seiner politischen Aussage beraubt werden. Das ändert sich zum Glück. Im zweiten Akt illustriert Dijkema eindrucksvoll die von den neuen braunen Machthabern ausgehende Bedrohung. So wird Schriftsteller Clifford im “Kit Kat Club” nicht nur von Nazi-Schlägern brutal zu Boden geworfen und malträtiert. Auch der Conférencier, in dieser Szene mit angeklebtem schwarzen Schnurrbärtchen und Hitler-Frisur, tritt mit seinen Stiefeln noch einmal kräftig nach. Diese und andere Darstellungen sind besonders erschreckend, weil das Publikum sie wegen der originellen räumlichen Lösung fast hautnah miterlebt: Als sein eigener Bühnenbildner verzichtet Dijkema auf die Guckkastenbühne und stellt stattdessen einen pechschwarzen Laufsteg in den Zuschauerraum. Das Publikum sitzt sich an den beiden Längsseiten gegenüber. Durch ein mit mehreren Glühbirnenreihen dekoriertes Tor treten die Darsteller auf, an der entgegengesetzten Stirnseite ist die kleine Band witzig auf und um ein Klavier herum platziert. Auch hier krönen weiße Glühbirnen die entfernt an eine Skater-Halfpipe erinnernde kahle Spielfläche. Einige wenige in Schwarz- und Grautönen gehaltene Requisiten ermöglichen schnelle Szenenwechsel und deuten den jeweiligen Ort der Handlung an. Auch wenn diese nüchterne, von zwei Seiten einsehbare Konstruktion zunächst gewöhnungsbedürftig ist: Durch eine bewegte und ausgeklügelte Personenführung gelingt dem Regisseur das Kunststück, dem Zuschauer – egal wo er sitzt – wenig Rückenansichten vorzuführen. Bei der unmittelbaren Nähe zum Publikum sollten allerdings Nachlässigkeiten wie leere Gläser, aus denen sich zugeprostet wird, oder ein Grammophon, das ohne aufliegenden Plattenarm Musik spielt, nicht passieren.
Für Dekadenz und Verruchtheit im Amüsierbetrieb ist in dieser Inszenierung vor allem der Opernchor des Landestheaters zuständig. Als skurril geschminkte Animierdamen und –herren in aufwändig und sexy gestalteten Straps-Outfits (Kostüme: Claudia Damm) gefällt die spielfreudige und stimmgewaltige Truppe auch als laszives Tanzensemble (Choreografie: Thomas Vollmer). Wie ein Fremdkörper wirkt hingegen der eigentliche “Kit Kat Club”-Star: Das Aufregendste an Sally Bowles (Susanne Ellen Kirchesch) sind ihre in grellem Grün lackierten Fingernägel. Ansonsten wirkt die Darstellerin in ihren biederen, langen Abendkleidern wie eine im Nachtclub gestrandete Operetten-Soubrette. Kircheschs hölzernes, aufgesetzt wirkendes Spiel verstärkt diesen negativen Eindruck ebenso wie ihre klassisch ausgebildete Sopranstimme, die für die Sally-Bowles-Songs einfach eine Nummer zu groß ist. Da können sich die Musiker im Transenlook (Leitung: Alexander Livenson) noch so ins Zeug legen: In der Interpretation von Kirchesch klingen Lieder wie “Dies Mal hoff’ ich” (Maybe this time) oder “Money trägt die Welt rundherum” viel zu pathetisch. Dies liegt allerdings auch an der in die Jahre gekommenen, holperigen deutschen Übertragung von Robert Gilbert.
Sigurd Karnetzki ist ein Herr Schultz der kleinen aber feinen Gesten. Als der Anschlag auf sein Obstgeschäft verübt wird, bindet er langsam seine Schürze ab und deckt damit peinlich berührt das auf die Bühne geschmissene Schild mit Naziparolen zu. Karnetzki überzeugt mit vollem Bass-Bariton nicht nur sein angebetetes Fräulein Schneider. Bettina Mahr wirkt mit grauer Dutt-Perücke und Brille etwas zu sehr auf nette Oma getrimmt, gefällt stimmlich vor allem mit knorrigem Alt im galligen “Wie geht’s weiter?”. Diese Frage hat sich die dralle, männervernaschende Wuchtbrumme Fräulein Kost (Sünne Peters) bereits beantwortet. Sie kollaboriert mit der neuen Obrigkeit und schmettert voller Inbrunst mit Ernst Ludwig (Michael Schöpe) das Lied von den Hirschen, die im Hain grasen. Beide Künstler singen mit schönen, sauber geführten Stimmen. Alexander Mildners angenehm timbrierter Bariton gibt dem amerikanischen Schriftsteller Clifford Bradshaw Format.
Der absolute Star der Aufführung heißt jedoch Nicholas Shannon. Als Conférencier eifert er nicht dem berühmten filmischen Vorbild nach, sondern legt diese Figur facettenreich als diabolisch, schmierigen Strippenzieher an. Der junge Darsteller spielt nicht bloß seine Rolle, er verschmilzt bei vollem Körpereinsatz ganz und gar mit ihr. Wenn Shannon clownesk durch die Zuschauerreihen geistert und mit großen Kulleraugen das Publikum anflirtet, vermittelt sein Conférencier ganz subtil, dass hinter der Grinsemaske das Böse lauert. Der Sänger verfügt über einen sicher geführten Tenor, den er problemlos aus der satten Mittellage in die Kopfstimme führen kann.
Als relativ kleines Haus mit kleinem Ensemble und schmalem Budget widerlegt das Theater Neubrandenburg/Neustrelitz das weit verbreitete Vorurteil, Musical sei einzig oberflächliche Unterhaltung. Hier ist “Cabaret” packendes Musiktheater mit Biss.
Rezensierte Vorstellung: 8. Februar 2008
Buch von Joe Masteroff nach den “Berlin Stories”
von Christopher Isherwood und dem Schauspiel “I Am a Camera” von John van Druten
Gesangstexte von Fred Ebb
Musik von John Kander
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KREATIVTEAM |
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Inszenierung und Bühnenbild | Michiel Dijkema |
Kostüme | Claudia Damm |
Choreografie | Thomas Vollmer |
Musikalische Leitung | Mark Rohde/ Alexander Livenson |
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CAST (AKTUELL) |
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Sally Bowles | Susanne Ellen Kirchesch | |||
Conférencier | Nicholas Shannon | |||
Clifford Bradshaw | Alexander Mildner | |||
Ernst Ludwig | Michael Schöpe | |||
Fräulein Schneider | Bettina Mahr | |||
Herr Schultz | Sigurd Karnetzki | |||
Fräulein Kost | Sünne Peters | |||
Max | Ramin Varzandeh | |||
Matrosen | Stefan Burmester Günter Menzel Alexander Schulz | |||
Two Ladies | Sylke Kamin Anja Schödel | |||
Gorilla | Grit Kolpatzik | |||
"Kit Kat"-Ensemble / Mitglieder des Opernchores | Sylke kamin Grit Kolpatzik Barbara Mobbs Rita Sabaliauskiene Anja Schödel Anja Taube Andreas Hartig Bernd Richert Bernd-Detlef Schultz Mario Wagner | |||
Opernchor des Landestheaters | ||||
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"Damenkapelle" im "Kit Kat Klub" | ||||
Saxophon/Klarinette | Andreas Rosin | |||
Posaune | Clemens Erdmann | |||
Klavier | Alexander Livenson/Mark Rohde | |||
Bass | Margarete Hafner | |||
Schlagzeug | Andreas Regolin |
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TERMINE |
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keine aktuellen Termine |
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