Das Newsical! (2005 - 2006)
tribuene, Berlin

Das schnellste Musical der Welt: Was morgens in der Zeitung steht, dient als Vorlage für ein Mini-Musical, das abends uraufgeführt wird.

Was reimt sich bloß auf „Unterkiefer”? Mit dieser Frage quält ein Chef zwei Bewerber um einen Praktikumsplatz als Haustierbestatter. Angetreten zum Duell um diese mit 4 Euro pro Woche dotierte Arbeitsstelle sind ein verschüchterter Doktor der Mikrobiologie und eine Frau mit Erfahrung in vielerlei Dingen. Worin? Na, das verraten schon das knappe Outfit und ihre lasziven Verrenkungen auf dem Schreibtisch während des Einzelinterviews. Trotz guter Leistungen in der zweiten Auswahlrunde (linke Hand zum rechten Ohr führen, gleichzeitig die rechte Hand in die linke Kniekehle legen und dabei rhythmisch auf und ab hüpfen) scheitern beide Kandidaten letztendlich im Finale. Wie hieß doch gleich die Gattin von Professor Brinkmann aus der „Schwarzwaldklinik”?

Welch’ absurde Geschichte für ein Musical! Wie kommt man nur auf solch eine Idee? Ganz einfach: Ein Blick in die Zeitung genügt. Nach diesem simplen Rezept durchforsten an fünf aufeinanderfolgenden Abenden eine Autorin (Maja Das Gupta beziehungsweise Nina Schneider) und ein Komponist (Paul Graham Brown) druckfrische Tageszeitungen und wählen aus der Fülle an Artikeln einen aus, der sie zu einem zehnminütigen Mini-Musical inspiriert. Text und Musik entstehen über Nacht und nach Proben während des nächsten Tages findet abends die Uraufführung statt. Wegen des knapp bemessenen Zeitrahmens wird auf ein Bühnenbild verzichtet. Auf der nackten schwarzen Bühne steht links ein Klavier für den musikalischen Leiter (Paul Graham Brown), ergänzt durch einzelne Möbelstücke oder Requisiten.

Was sich einfach anhört, ist in Wirklichkeit ein Kraftakt, den das Team jedoch mit Bravour meistert. Jedes Mini-Musical ist isoliert betrachtet ein kleines Kunstwerk, aber erst in der Wochenzusammenfassung mit allen fünf Stücken in Folge wird deren Bandbreite für das Publikum erlebbar. Neben aberwitzigen Geschichten, wie dem bereits geschilderten „Sie können hier arbeiten – aber erst mal umsonst” (3. Tag; mit Mirja Regensburg, Rolf Sommer und Ben Zimmermann) oder „Obst!” (5. Tag; mit Verena Küllmer, Mirja Regensburg und Andreas Goebel), ist auch Platz für leisere und nachdenklichere Töne. So schildert „Level 3: Die Rettung der Prinzessin” (4. Tag) die Sprachlosigkeit zwischen einem Computerspiel-Programmierer und dessen vernachlässigter Ehefrau. Während er in seiner eigenen virtuellen Welt der strahlende Held sein darf, möchte sie mit ihm in der Realität über ihre bisher von ihm trotz dicken Bauchs noch nicht wahrgenommene Schwangerschaft reden. Vasiliki Roussi und Werner Bauer überzeugen hier in Spiel und Gesang und zeigen die beeindruckendste Leistung aller fünf Folgen.

Im Finale stehen die acht Darsteller gemeinsam mit Handpuppen-Moderator Archie (Moritz Staemmler) in der extra für die Zusammenfassung entstandenen „letzten Meldung” auf der Bühne. Der anschließende Jubel für Kreativ-Team und Cast ist verdientermaßen groß. Manchmal bedarf es für einen runden Musical-Abend nicht jahrelanger konzeptioneller Vorbereitungen. Es genügt einfach der Blick in die Zeitung.