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Wischen - No Vision (2005)
Neuköllner Oper, Berlin

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Was treiben Raumpflege-Experten im Büro, wenn die dortigen “Insassen” ihrem Feierabend fröhnen?
Die zweigeteilte Produktion startet beide Male vom gleichen Ausgangspunkt, die wahnwitzige Geschichte nimmt dann jedoch ganz unterschiedliche Wendungen. “Wischen – No Vision” ist vor der Pause Musical, danach Avantgarde-Oper.

„Der Dreck hat Vorsprung – ich hole auf!”. Das ist das Arbeitsmotto von Antonia, die gemeinsam mit Birger und Chantal angetreten ist, einen Bürokomplex von den Spuren des Tages zu befreien. Nur weil Letztere, eigentlich Parfümerie–Fachverkäuferin und Neuzugang im Wischmopp-Geschwader, vom stupiden Dahinwienern so gar nichts hält, bringt sie das Trio auf seiner Scheuerlappen-Mission in eine gefährliche Situation: alle drei dringen in das eigentlich für sie verbotene Büro des Firmenbosses Dollenberger ein, in das dieser kurze Zeit später in Begleitung seines duckmäuserischen Assistenten Ellermann zurückkehrt…
Beide Hälften der von der Neuköllner Oper als „Raumpflege in zwei Teilen” angekündigten Produktion starten aus dieser Ausgangssituation. Autor Andreas Bisowski erzählt jedoch bis zum wieder identischen Ende zwei völlig unterschiedliche Geschichten: In der Fassung vor der Pause entgeht das Raumpflegefachpersonal einem drohenden Rausschmiss nur, weil Chantal auf Flehen ihrer Kollegen der Aufforderung „Putz für uns, du französisches Luder” der lüsternden Chefetage nachkommt. Nach einem Tanz auf dem Designerschreibtisch wollen ihr Dollenberger und Ellermann ungestüm an die Wäsche gehen, rutschen dabei jedoch ab und stürzen durch die Glasfensterfront hinab in die Tiefe.
In Fassung zwei versteckt sich die Putzcrew im Büro und erlebt mit, wie Chef und Assistent ihre im Alltag unterdrückte Gefühlswelt ausleben. Beide tauschen die Rollen und Boss Dollenberger genießt Ellermanns Erniedrigungen während er auf Knien rutschend den Boden scheuert und diesem seine Empfindungen schildert. Nach der Entdeckung der Eindringlinge rechtfertigen die Belauschten ihr Tun als Experiment („wir wollten sehen, wie es sich so anfühlt, wenn ihr den Dreck wegmacht”) und überreden ihre Besucher zu einem gruppendynamischen Selbstfindungsrausch, in dessen Verlauf sich die Protagonisten ihrer jeweiligen Arbeitskleidung entledigen. Als Rache für seine Ausgrenzung schleudert Putzmann Birger die Firmenleitung mit übermenschlichen Kräften à la Superman aus dem Fenster.
Die Beschreibung der wahnwitzigen Handlung lässt es schon ahnen: nur wer nicht nach dem „Wieso” und „Warum” fragt, erlebt einen unterhaltsamen Abend. Die Inszenierung von Stephan Bruckmeier versucht erst gar nicht irgendwelchen tieferen Sinn hervorzukehren sondern setzt den Text direkt bildlich um. Wenn bei einem Verhör Antonia, Birger und Chantal Erklärungsversuche für ihr Eindringen vorbringen, wird die Verstrickung in Widersprüche durch das Einwickeln der Gruppe mit einem Bindfaden versinnbildlicht. Fügt sich Chantal im ersten Teil in die ihr von der Firmenleitung vorgeschriebene Rolle, dann hält sie in ihren Händen zwei Stöcke und wird wie eine Stabpuppe von den Chefs vorgeführt. Und selbst die Musical-Konkurrenz wird überzeichnet zitiert: kreuzen die drei Musketiere im Theater des Westens ihre Degen, so zückt das Wischmopp-Geschwader in der Neuköllner Oper drei Staubwedel und beschwört Stärke und Einheit als Gruppe.
Eine Portion Extra-Lacher verursacht Ausstatterin Meentje Nielsen mit ihren rosafarbenen Trikots, die die Darsteller unter ihren schicken weißen Arbeitskitteln und Anzügen in Teil 2 tragen: während bei den beiden Damen ein kleines Kunstpelzdreieck den Schambereich andeutet, hat Nielsen bei den Herren mit großer Liebe zum Detail lustig umherbaumelnde Geschlechtsteile modelliert. Hier liefert ihr sehr puffig wirkender Zeltraum mit seinen an der Decke rotierenden Federn zwar schwüle Atmosphäre, wirkt aber als Büro doch sehr weit hergeholt. Der steril-moderne, kalt ausgeleuchtete Arbeitsraum vor der Pause ist da sehr viel stimmiger.
Die musikalische Bandbreite von „Wischen – no vision” könnte größer nicht sein: in Teil 1 kann Komponist Marc Seitz seinen Hauptjob als Musicaldarsteller nicht verleugnen. Da swingt und groovt das von Hans-Peter Kirchberg dirigierte Orchester und auch Ohrwürmer im klassischen Broadway-Sound à la 42nd Street lassen aufhorchen. Zu dieser Musik lässt Choreografin Claudia Senoner die Puppen so richtig tanzen und die Zuschauer erleben diese Variante der skurrilen Putzfrauen-Saga als locker-leichte Hommage an eine leider viel zu oft belächelte Variante des Musiktheaters. Nach der Pause stellt Gerd Noack seine Partitur vor. Mit den monoton wiederholten, zu sehr atonaler Musik gesungenen Worten „sauber – sauber – sauber” wird schnell klar, wohin die Reise jetzt geht: wir sind bei der musikalischen Avantgarde angekommen. Auch wenn diese Komposition nicht zum Mitssummen animiert, kann sie überzeugen. Hauptcharakteristikum sind scheinbar endlose Wiederholungsketten von Noten, zu denen einzelne Worte (zum Beispiel „putzen”, „wischen”, „weg” und „Dreck”) in allen nur denkbaren Kombinationen zusammengesetzt gesungen werden. Hier wird das aus Opernsängern zusammengestellte Ensemble sehr stark gefordert. Leigh Adoff (Chantal), Thomas Franke (Dollenberger), Hartmut Kühn (Birger), Elisabeth Striewe (Antonia) und Harry Tchor (Ellermann) meistern gerade diese im zweiten Teil schwierige Aufgabe mit Bravour.
Die Neuköllner Oper tritt mit ihrer Putzfrauen-Musical-Oper den Beweis an, dass Musiktheater auch abseits des so genannten „Mainstreams” mit Erfolgswerken von Lloyd-Webber oder Mozart spannend und inspirierend sein kann. Darüber hinaus würdigt sie eine Berufsgruppe, die häufig als „minderwertig” abgestempelt wird. Seien wir doch mal ehrlich: was wären wir ohne die Männer und Frauen, die dem Dreck den Vorsprung nehmen?

 
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KREATIVTEAM
MusikMarc Seitz
Gerd Noack
BuchAndreas Bisowski
InszenierungStephan Bruckmeier
ChoreografieClaudia Senoer
AusstattungMeentje Nielsen
Musikalische LeitungHans-Peter Kirchberg
 
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CAST (AKTUELL)
DollenbergerThomas Franke
BirgerHartmut Kühn
AntoniaElisabeth Betty Striewe
EllermannHarry Tchor
ChantalLeigh Adoff/Anja Taube
 
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TERMINE
keine aktuellen Termine
 
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TERMINE (HISTORY)
Do, 11.08.2005 20:00Neuköllner Oper, BerlinUraufführung
Sa, 13.08.2005 20:00Neuköllner Oper, Berlin
So, 14.08.2005 20:00Neuköllner Oper, Berlin
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