Alle fünf Jahre bringt die Theater-AG des Helmstedter Julianum-Gymnasiums eine große Produktion auf die Bühne. Mit der diesjährigen (16. bis 18. September 2004) ist ihr ein großer Coup gelungen: Als erste freie Bühne angelten sich die Schüler die Aufführungsrechte für Maury Yestons Titanic. Und, Überraschung Nummer zwei: Sie bewiesen, dass man mit einem Etat von einigen Tausend Euro und einem Riesenberg Engagement eine millionenschwere Ensuite-Produktion zwar (natürlich) nicht erreichen, aber immerhin würdig an sie erinnern kann.
Denn was die rund 35 Schüler auf die Beine gestellt haben, kann sich wirklich sehen lassen: die (von marginalen Kürzungen abgesehen) komplette Hamburger Fassung in einer Ausstattung und Inszenierung, die (mutigerweise) sehr nah am Original liegt und trotz Schüler-Cast und fehlender Mammut-Bühnentechnik funktioniert – bei “In die Rettungsboote” griffen etliche Zuschauer zu den Taschentüchern.
Eine auf der Bühne fest installierte Brücke ist die Basis für das Bühnenbild, der Raum darunter wird durch bemalte Wände wechselweise zum Funkraum, Rauchsalon oder Kabinendeck. In der Untergangsszene (stark: Andreas Warmbein als wahnsinniger Konstrukteur Thomas Andrews) wird vor der Brücke ein halbdurchsichtiger blauer Vorhang hochgezogen. Er bildet zugleich den Hintergrund für die Carpathia-Szene und gibt, durch entsprechenden Lichtwechsel, für das Finale den Blick auf die Opfer frei. Ansonsten verzichtet Regisseurin Gudrun Brederlow auf inszenatorische Tricks oder Effekte. Zu Recht: Denn dank des sauberen Stagings behält die Handlung ihren Fluss, die zahllosen kleinen (bewegenden) Geschichten, von denen das Musical lebt, werden nicht gestört.
Natürlich kann man bei einer Schul-Produktion nicht erwarten, dass alle Darsteller gleich gut singen und spielen können. Doch die Besetzungen sind (bei derart vielen anspruchsvollen Rollen keine Selbstverständlichkeit) durch die Bank ordentlich, schauspielerische und musikalische Mängel werden durch die spürbar hohe Spielfreude wett gemacht. Gesanglich ragt Karen Kamrath (Abitur 2002) als Alice Beane aus dem Ensemble heraus. Mit dieser kraftvollen (und sehr sauberen) Stimme sollte sie auf jeden Fall eine Chance haben, den Sprung in den Profi-Bereich zu schaffen. Erwähnenswert, stellvertretend für viele, auch die Leistungen von Moritz Ahrens (Steward Henry Etches) und Björn Spitzbarth (Kapitän Smith). Nur in einer kleinen Rolle, aber ebenfalls sehr hörenswert: Stephanie Höcker als Marion Thayer.
Zwei weitere große Pluspunkte der Produktion: die Kostüme und das Orchester. Man kann wohl nur erahnen, wie viele Mütter und Großmütter im Einsatz waren, um die durchgängig sehr authentischen und, auch für die Ensemblerollen, hochwertigen Kostüme zustande zu bekommen. Das Highlight ist aber das 32-köpfige Orchester (Leitung: Angela Heinemann), dass der Musik den nötigen satten Klang gibt und die Dramatik enorm verstärkt – bei dieser Qualität will man kaum glauben, dass da ein Schulorchester im Graben sitzt.
Am Schluss gab es zu Recht frenetische Ovationen für eine Klasse-Leistung. “Titanic” funktioniert – auch wenn man keine ausgebildeten Musical-Darsteller und keine teure Technik zur Verfügung hat. Die Eintrittskarten kosteten gerade mal zwei Euro. Der zehnfache Preis wäre allemal gerechtfertigt gewesen.
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