AMY © Rachel Fichtner
AMY © Rachel Fichtner

NEUES FEATURE
"Ich wünsche mir mehr Mut, mehr Vertrauen und vor allem mehr Unterstützung." - AMY im Interview

Wenn im Oktober an der MuKo in Leipzig die One-Woman-Show “Ein wenig Farbe” Premiere feiert, die den Selbstfindungsweg der trans Frau Helena thematisiert, ist mit AMY erstmals in der Bühnengeschichte des Stücks eine trans Darstellerin in dieser Rolle zu sehen. Fast schon ein kleiner Meilenstein, obwohl es doch eigentlich selbstverständlich sein sollte. Vorreiterin zu sein, ist nichts Neues für AMY – sie ist eine der ersten offen als trans Person lebenden Musicaldarstellerinnen im deutschsprachigen Raum und erlebt die viel zu langsame Entwicklung hin zur Chancengleichheit in der hiesigen Musicalszene hautnah. Während ihres Engagements als Herodes bei “Jesus Christ Superstar” in Wunsiedel hat sie sich Zeit für ein Gespräch mit der Musicalzentrale genommen und mit uns nicht nur über “Ein wenig Farbe” gesprochen, sondern auch über die Hintergründe und Auswirkungen des Schubladendenkens bei Auditions, und welche Rollen sie in Zukunft gerne spielen möchte.

AMY © Rachel Fichtner

Du hast dich ja in der Vergangenheit auch auf Social Media sehr enttäuscht darüber geäußert, dass die Rolle der trans Frau Helena in “Ein wenig Farbe” sehr oft mit cis Männern besetzt wird. Jetzt steht mit dir endlich eine trans Darstellerin in dieser Rolle auf die Bühne. Wie kam es zu diesem Engagement?

Ja, leider wurde das Stück bisher mit Ausnahme der Uraufführung mit Pia Douwes immer nur von cis Männern gespielt. Grundsätzlich sollte das Kredo sein “Jede*r kann und darf alles spielen” – da bin ich auch vollkommen dafür; allerdings entspricht das nicht unserer Realität. Besetzungspolitik ist leider oft immer noch vollkommen an veralteten Strukturen gebunden (ein anderes Beispiel wäre, dass Plus-Size-Darsteller*innen oft nicht die erste Wahl für beispielsweise eine Glinda in “Wicked” wären, unabhängig vom Talent). Die Theaterliteratur besteht zum weitaus überwiegenden Anteil an Rollenmaterial für Männer. Müssen cis Männer dann 2024 auch noch trans Frauen spielen? Haben Männer nicht genug Rollenmaterial, dass sie auch noch Frauen – trans oder cis ist in dem Fall egal – die Rollen wegnehmen müssen? Mir geht es lediglich um das Erschaffen von Chancen. 

Wenn ich mich als Theater für einen Stoff wie “Ein wenig Farbe” entscheide, dann ist es eigentlich unabdinglich, die Rolle mit einer Frau zu besetzen. Die Zeit, in der cis Männer in Kleidern und Perücken trans Frauen darstellen, ist wirklich vorbei. Als trans Frau möchte ich mich so nicht mehr repräsentiert sehen. Ich bin eine Frau.

Die Musikalische Komödie hatte die Idee, dieses Stück auf ihren Spielplan zu setzen und mich sofort gefragt, ob ich Lust hätte. Und die hatte und habe ich! Ich freue mich sehr, dass das Haus sich diesem Thema annimmt und es genauso besetzt, wie sie es getan haben. Das macht mich sehr glücklich und ich freue mich auf die Spielzeit.

Im Stück verkörperst du ja auch Helena vor ihrer Transition. Ist das für dich, die selbst so einen – wenn auch natürlich individuell anderen – Weg durchlaufen hat, emotional und/oder darstellerisch schwierig, auf der Bühne quasi nochmal in die Zeit ‘davor’ zu schlüpfen?

Ich würde sagen “jein”. [lacht] In vielen Dingen ähneln wir uns, in vielen Dingen aber auch wieder nicht. Das heißt, ich kann durchaus differenzieren, was ich aus meiner Biografie schöpfen kann und was ich neu erschaffen muss. Es geht mir als Darstellerin natürlich sehr nah, weil diese Transition Teil meines Lebens ist und für immer bleiben wird.

Ist Helena generell eine eher persönliche Rolle für dich oder würdest du sagen “nein, außer dass wir beide trans Frauen sind, gibt es da keine Verbindung und ich spiele sie mit genauso viel oder wenig Abstand wie jede andere Rolle”?

Viele Dinge, die Helena erlebt hat, habe auch ich erlebt, erleben viele trans Personen jeden Tag auf der ganzen Welt. Es gibt Momente in der Show, die mir emotional sehr nahe gehen, aber ich benutze diese Emotionalität, um die Geschichte wahrhaftig zu machen. Schlussendlich ist es eine Rolle, in die ich mich zwar hineinwerfe, aber die ich auf dem Heimweg auch wieder ablegen kann, auch wenn vieles natürlich extrem nah an meiner eigenen Biografie ist. Ich hoffe eben genau dadurch einen größeren und stärkeren Zugang für das Publikum zu Helenas Geschichte zu erschaffen. 

Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, Helena ist mir genauso fern, wie zum Beispiel ein Conférencier in “Cabaret”. Natürlich stehen wir uns viel näher. Aber ich glaube, genau das macht das Stück dann so nahbar.

Abgesehen von Helena hat “Ein wenig Farbe” noch dreizehn andere Bühnencharaktere, die du auch alle verkörperst. Wie anstrengend ist es, in so kurzer Zeit in so viele verschiedene Persönlichkeiten zu schlüpfen? Und weißt du schon, wie diese Rollenwechsel in eurer Inszenierung szenisch gelöst werden?

AMY als Hedwig beim CSD in Leipzig © Eulenherz Artwork

Wir haben noch nicht mit den Proben angefangen, aber im Vorgespräch mit meiner Regisseurin Lucia Reichard sind tolle und spannende Ideen aufgetaucht. Uns beiden ist es wichtig, einen natürlichen und authentischen Abend zu erschaffen. Die Rollenwechsel sind manchmal sehr schnell und sehr viele Figuren interagieren gleichzeitig miteinander. Ich durfte diese Erfahrung schon bei “Hedwig And The Angry Inch” machen, was aber natürlich immer noch wesentlich weniger Charaktere zu spielen hat als “Ein wenig Farbe”. Schauspielerisch ist das eine total tolle Herausforderung, auf die ich mich wahnsinnig freue.

Im Februar hast du eine Elektropop-Single veröffentlicht. Wie entstand dieses Projekt? Zieht es dich in den Pop-Bereich oder bleibt die Musical-Bühne dein Zuhause?

Manchmal überkommt mich dann doch die reine Musikerin in mir. [lacht] Eigene Musik zu machen, ist auch etwas sehr Persönliches, aber dafür brauche ich Zeit und Muse. Ich habe “Once Before We Die” mit Zoe Wynns geschrieben, einer amerikanischen Singer-Songwriterin, die mir diesen tollen Text und die tolle Musik geschrieben hat. 

Früher wollte ich immer Rocksängerin werden, dann Musicaldarstellerin, jetzt habe ich die Möglichkeit beides zu machen und es manchmal auch miteinander verbinden. Die Musical-Bühne bleibt daher auf jeden Fall mein Zuhause. Aber wer weiß was zusätzlich noch alles entsteht!

Du gehst ja schon länger in der Öffentlichkeit ganz offen mit deiner Transidentität um, trittst aber erst seit diesem Jahr unter dem Namen AMY auf. War das ein Schritt, vor dem du auch aus beruflichen Gründen gezögert hast, da du ja unter deinem Deadname bereits Bühnenerfolge verbuchen konntest und einen Bekanntheitsgrad hattest? Oder hat das deine Entscheidung nicht beeinflusst und es war für dich einfach der richtige Zeitpunkt, diesen Schritt zu gehen?

Gemeinsam mit meinem Management habe ich natürlich überlegt, was der beste erste Schritt ist. Die erste Zeit habe ich noch unter meinem Deadname gearbeitet, weil es eben, wie du sagst, schwierig ist einfach aus dem Nichts den Namen als Künstlerpersönlichkeit zu ändern, wenn dich die Menschen schon kennen. Ich glaube aber, gerade weil ich schon einen Pool an tollen Kolleg*innen hatte und so offen auf meinen sozialen Kanälen damit umgehe, war es der richtige Zeitpunkt, Anfang des Jahres mit AMY durchzustarten. Die Menschen lernen dann doch schnell, neu zuzuordnen. Das ist schön!

AMY Backstage bei “Jesus Christ Superstar” in Wunsiedel © privat

Aktuell stehst du noch in Männerrollen wie Herodes in “Jesus Christ Superstar” bei den Luisenburg-Festspielen oder Leo Bloom in “The Producers” in Leipzig auf der Bühne. Möchtest du das in Zukunft weiterhin machen oder würdest du als Frau auch lieber ganz einfach Frauenrollen spielen?

Absolut. Ich würde sagen, mit Leo Bloom ist jetzt der Abschluss meiner Karriere in Männerrollen erstmal gesetzt. Es gibt aber natürlich Figuren wie dem Conférencier oder Frank’N’Furter, die ich weiterhin spiele und spielen möchte, weil das auch als (trans) Frau gut funktioniert. 

Herodes nennen wir in der Produktion auf der Luisenburg liebevoll HERodes. [lacht] Wir haben die Rolle ganz eindeutig als Frau, als starke Königin angelegt, wofür ich Birgit Simmler sehr dankbar bin und was auch schon in vergangenen Inszenierungen gut funktioniert hat. Und auch, wenn ich meiner Community mit Stücken wie “Ein wenig Farbe” oder “Hedwig” gerne immer wieder ein Gesicht gebe, wünsche ich mir für die Zukunft natürlich das Fach in die Frauenrollen zu wechseln. Das bedeutet Arbeit, für mich und auch die Theater, aber die Zeit ist reif, wie wir am Broadway und am West End bereits beobachten können. 

Wir als trans Personen können natürlich die Rollen spielen, als deren Geschlecht wir uns definieren. Und ja, in diesen bin ich auch ziemlich gut. [lacht] Vor allem die starken Frauenfiguren liegen mir sehr gut, auch wenn ich diese Bezeichnung eigentlich nicht mag – was ist denn eine schwache Frau?

Dieses Fach zu erforschen, diese Chancen zu erhalten und zu zeigen “Hey, das geht, das kann AMY!” ist etwas, worauf ich hinarbeiten möchte. Da vertraue ich vor allem den Menschen in diesem Business, die an mich glauben und sich sicher sind, dass eine Entwicklung des Genres stattfinden muss. Das Ziel ist es, trans Personen zu besetzen, weil sie gut und nicht weil sie trans sind. Zu besetzen, ohne dem Publikum immer nochmal extra den Wink mit “… aber er oder sie ist ja trans!” zu geben.

Weil wir gerade bei beruflichen Zielen sind: Gibt es für dich sowas wie eine absolute Musical-Traumrolle – egal ob Männerrolle oder Frauenrolle – die du unbedingt einmal auf der Bühne darstellen möchtest?

Ich werde nicht müde, immer und immer wieder zu sagen, dass ich richtig gerne einmal Mrs. Danvers in “Rebecca” spielen würde. Diese Rolle ist meine absolute Traumrolle!

AMY in “Hedwig and the Angry Inch” © Moritzbastei/Reitler

Du hast ganz am Anfang des Interviews gesagt, dass Theaterschaffende vor allem hierzulande immer noch sehr häufig diskriminieren. Gab es für dich bei Auditions Erlebnisse, bei denen du das Gefühl hattest, dass deine Identität als trans Person der Grund war, warum du eine Rolle nicht bekommen hast? Und wenn ja, wie gehst du mit so etwas um?

Ich glaube, dass viele Theaterschaffende noch davor zurückschrecken, sich in diesem Bereich zu öffnen – obwohl wir im englischsprachigen Raum bereits sehen, dass es funktioniert. Oft gibt es das Problem mit der Stimmlage; manche Partien müssten für trans weibliche oder trans männliche Stimmen transponiert werden. Allerdings wird das auch für prominente Besetzungen bereits getan. 

Für Frauen ist ein Auditionprozess schwerer als für Männer, für trans Frauen ist er noch schwieriger, weil wir eben mit ganz anderen Dingen zu kämpfen haben, wie eben Stimmlage, eventuell Körpergröße etc. Das liegt natürlich mit daran, dass das Genre Musical im deutschsprachigen Raum immer noch – leider! – extrem in Schubladen besetzt wird. Du bist entweder zu groß, zu klein, falsche Haarfarbe, zu große Nase und so weiter und so weiter… Wir müssen uns davon trennen und einfach schauen, wer kann diese oder jene Rolle toll verkörpern. 

Natürlich gibt es auch Bewerbungen, auf die ich nicht mal eine Antwort bekomme – vielleicht weil ich eine trans Frau bin, vielleicht auch nicht. Aber dann denke ich mir: Das ist ja dann euer Verlust! [lacht]

Eine gute Einstellung! Aber du hast es schon auf den Punkt gebracht: Die deutsche und deutschsprachige Musicalszene hat in Sachen Diversität doch noch einen recht weiten Weg vor sich. Was würdest du dir hier für die Zukunft wünschen, besonders für trans Darsteller*innen?

Ich würde mir mehr Chancengleichheit wünschen, im Bewerbungs- und Auditionprozess. 

Ich würde mir vor allem mehr Offenheit der Verlage wünschen. Denn viele Hürden, die das Genre hat, ist die absolute Engstirnigkeit, dass wir in den meisten Fällen die Musik nicht auf die Stimme der jeweils spielenden Person gut anpassen dürfen. Das wird in der Oper seit Hunderten von Jahren gemacht. Aber das Musical im deutschsprachigen Raum bewegt sich viel zu langsam vorwärts. Ich wünsche mir mehr Mut, mehr Vertrauen und vor allem mehr Unterstützung. Wir sind da, wir sind gut, wir schaffen das!

Ich denke, das ist ein sehr schönes Schlusswort! Liebe Amy, herzlichen Dank für deine Zeit und deine offenen und aufschlussreichen Antworten. Wir wünschen dir noch eine tolle Vorstellungsreihe als HERodes und eine spannende Probenzeit zu “Ein wenig Farbe” – und hoffen mit dir darauf, dass der Weg zur Chancengleichheit vielleicht doch nicht mehr so lang ist, wie es derzeit manchmal scheint. 

 
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