Die Gandersheimer Domfestspiele gehören zu den größten professionellen Freilichttheatern der Republik und existieren bereits seit 1959. Im nunmehr 65. Jahr hat sich unter anderem auch das Wildhorn-Musical “Bonnie & Clyde” auf dem Spielplan eingefunden, das am 28. Juni Premiere feiern wird. Die Hauptrollen des infernalen Verbrecher-Pärchens übernehmen Annika Steinkamp und Lucas Baier, die uns bereits jetzt einen ausführlichen Einblick in ihre Figuren, das Musical und die besondere Inszenierung in Bad Gandersheim gegeben haben.
Was ist für Euch jeweils das Besondere an der Geschichte von “Bonnie und Clyde“ und der Umsetzung als Musical? Welche Song-Highlights habt Ihr da ganz persönlich?
Annika: Es gibt in der Popkultur einen riesigen Mythos um die Beziehung und die große Liebe von Bonnie und Clyde. Fast jeder hat eine Assoziation zu diesen beiden Namen, eine Vorstellung von den Menschen und ihren Verbrechen. Da ist natürlich interessant, dass das Musical versucht – wenn auch sehr verdichtet und mit ein paar künstlerischen Freiheiten – die ganze Geschichte hinter diesen Assoziationen zu erzählen. Es ist sehr selten, dass man als Darsteller eine Beziehung so intensiv und detailreich erzählen darf. Und als Schauspielerin ist es ungewöhnlich, dass es eine so facettenreiche und spannende Frauenfigur gibt, die so viel erleben darf.
Für mich ganz besonders ist “Sterben ist nicht schlimm” – das ist mein liebster Song, den ich selbst singen darf. Weil dieser Song die Bestätigung erzählt, dass man miteinander bis in den Tod geht, weil man sich so sehr liebt, dass nichts anderes wichtig ist. Und dann gibt es noch das Lied “Teufel”, das singt Emma Parker, die Mutter von Bonnie. Der Song ist in den meisten Inszenierung nicht drin, das ist ganz besonders, den gibt es nicht als Aufnahme. Das Lied drückt die innige Mutter-Tochter-Beziehung und die Verzweiflung der Mutter darüber aus, dass ihre Tochter ihr entgleitet. Das ist wirklich sehr berührend.
Lucas: Hier agieren zwei Antihelden als Protagonisten. Es ist als Musical interessant, weil man als Zuschauer Aufstieg und Fall eines der berühmtesten Paare der Geschichte sieht und eine unzertrennliche Liebe einmal anders erzählt bekommt, eingebettet in ein für ein Musical unübliches Setting.
Die zwei Songs, die für mich besonders herausstechen, weil sie musikalisch sehr schön sind und weil sie die beiden Enden eines emotionalen Spektrums abbilden, sind “Reiß die Hölle auf” und “Bonnie”.
Was macht die Inszenierung in Bad Gandersheim für Euch aus und welchen individuellen Herausforderungen begegnet Ihr jeweils in diesem Musical?
Annika: Das Konzept in Bad Gandersheim legt einen starken Fokus auf die mediale Darstellung und den Umgang der Presse mit den beiden. Es geht viel darum, welchen Einfluss die Darstellung in den Zeitungen auf die Geschichte der beiden hatte und an welchem Punkt sie von einem total gefeierten Liebespaar, das für seinen Mut angehimmelt wurde, zu zwei Verbrechern wurden, bei denen sich die Menschen freuten, als sie endlich gefasst und tot waren. Wir versuchen so ein hoffentlich halbwegs ausgeglichenes Bild dieser zwei komplizierten Figuren zu zeichnen. Die Bandbreite an Emotionen und Situationen, in denen sich die Figur befindet und die der Bonnie begegnen, rafft das Stück zeitlich sehr zusammen. Um das authentisch auf die Bühne zu bringen, muss man als Darstellerin schon voll dabei sein. Es gibt außerdem das Spannungsverhältnis zwischen Bonnie im Bühnenstück und der realen, historischen Frau, der man gerecht werden will.
Lucas: Ich finde spannend, dass wir hier auf einer Freilichtbühne eine rasante Geschichte über zwei Menschen erzählen wollen, die immer in Bewegung sind. Weil hier nichts aus der Decke oder aus dem Boden fahren kann, müssen wir auf der statischen Bühne minimalistisch agieren, und das stellt uns vor Herausforderungen. Aber wir haben ganz spannende Wege gefunden, das umzusetzen. Außerdem versucht die Inszenierung, dass sich Licht und Schatten der beiden Figuren die Waage halten. In der Vergangenheit wurde dieses Paar auch oft glorifiziert, aber es gibt natürlich auch viele Schattenseiten an diesen beiden Persönlichkeiten. Es ist musikalisch und körperlich sehr anspruchsvoll, bei Wind und Wetter diese Rolle zu verkörpern, sowohl bei extremer Hitze und Sonneneinstrahlung als auch bei Regen. Natürlich ist es nicht einfach, sich in menschliche Abgründe wie Mord und Vergewaltigung fallen zu lassen und sich emotional zu schützen, ohne seine Authentizität auf der Bühne zu verlieren.
Wie würdet Ihr Eure Rolle als Einzelfiguren und als Duo charakterisieren und wie erarbeitet Ihr die Dynamik zwischen euren Figuren? Haben die Figuren auch Ähnlichkeiten zu Euch selbst?
Annika: Ich würde Bonnie als extrem loyal beschreiben, als eine Frau mit ganz großen Träumen und Ambitionen und einer ganz bestimmten Vorstellung davon, wie ihr Leben zu sein hat: frei und aufregend. Sie ist sehr impulsiv, da ist sie Clyde sehr ähnlich. Sie ist stur und schlau, aber nicht unbedingt immer sehr weise. Sie lässt sich sehr von ihren Gefühlen leiten. In Clyde ist sie Hals über Kopf verliebt, und für sie ist er der einzige, der genauso groß träumt wie sie – sozusagen ihr Ticket aus dem langweiligen Leben, das sie nie wollte.
Ich habe mich mit der historischen Bonnie auseinandergesetzt, habe viel gelesen und Zeitzeugeninterviews angeschaut. Um ein Gefühl für die Figur und die Geschichte dahinter zu bekommen. Dann habe ich versucht, das wieder wegzulegen, um möglichst unbelastet in die Proben zu gehen. Da haben wir jetzt viel ausprobiert und improvisiert, um einen Ton und eine Atmosphäre zu finden, die diese Figuren und deren Beziehung authentisch darstellt. Mit der Regisseurin durften wir ganz viel suchen und finden und ein Gefühl dafür entwickeln, wie die Rolle tatsächlich ist.
Bonnie und ich ähneln uns tatsächlich in dieser Fähigkeit, sich wahnsinnig stark zu verlieben, für jemanden so viel zu empfinden, dass man vielleicht auch nicht mehr so gute Entscheidungen trifft. Ich verstehe auch diesen Wunsch im Leben nach Mehr, das Bedürfnis etwas Großes, etwas Besonderes zu machen. Außerdem wollte Bonnie unbedingt Schauspielerin werden, und das war auch bei mir ganz früh ein großer, inniger Wunsch. Im Gegensatz zu ihr ist mir das geglückt – und das ohne Raubüberfälle.
Lucas: Clyde ist sehr leidenschaftlich, impulsiv, naiv, sehr optimistisch, aber natürlich auch vom Leben gezeichnet durch viele familiäre und gesellschaftliche Erlebnisse. Clyde ist hoffnungslos verliebt in Bonnie, er ist von ihr fasziniert und er bewundert sie dafür, dass sie sehr eloquent und intelligent ist. Es ist ein Verhältnis auf Augenhöhe, trotzdem dabei ein sehr verspieltes Miteinander, was Einiges über diese Beziehung aussagt.
Weil es die Figuren tatsächlich gegeben hat, recherchieren wir viel Material zu der historischen Figur. In der Zusammenarbeit mit Sandra Wissmann als hervorragende Regisseurin gibt sie sozusagen das Haus vor, und wir Darsteller dürfen dieses Haus dann einrichten und uns in diesem frei bewegen. Dann entsteht etwas Wundervolles und sehr Homogenes. Ansonsten stehen alle Beteiligten natürlich immer im regen Austausch miteinander, egal um welche Gewerke es sich dabei handelt.
Wenn ich Clyde mit mir selbst vergleiche, würde ich mich auch als sehr leidenschaftlichen und impulsiven Menschen bezeichnen, der mit einem gewissen Grundoptimismus ausgestattet ist. Man sucht immer diese eine Person, diesen „partner in crime“, mit dem es heißt: Du und ich gegen die Welt. Diesen einen Menschen finden, mit dem man wirklich eins ist. Was mich auch mit Clyde verbindet, ist, dass ich als Musicaldarsteller immer „on the road“ bin, nie lange an einem Ort, immer unterwegs und auf Reisen.
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