In seiner letzten Spielzeit am Theater Hof schenkt der scheidende Intendant Reinhardt Friese sich und vor allem dem Publikum eine enorm starke und intensive Inszenierung der bitterbösen schwarzen Operette Stephen Sondheims über den “Barbier des Teufels der Fleet Street”. Eine Besonderheit ist, dass zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum eine auf neun Personen reduzierte Fassung gezeigt wird. In Frieses Inszenierung sind diese neun Personen Patienten in einer heruntergekommenen Irrenanstalt zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts. Ein Setting, das die ohnehin schon düstere Geschichte noch unheimlicher erscheinen lässt.
Im Interview im Programm zur Hofer Inszenierung erläutert der Musikalische Leiter Michael Falk, dass die Reduzierung der Besetzung, der Verzicht auf ein großes Ensemble und auch auf ein großes Orchester ermöglicht, sich viel intensiver auf die einzelnen Figuren der Geschichte zu konzentrieren. Bereits im Prolog, in dem sich die neun Figuren in schäbiger Unterwäsche und Zwangsjacken gekleidet und mit wirrem Haar und irrem Blick direkt ans Publikum wenden, um einzuladen Zeuge der grauenhaften Taten Sweeneys zu werden, bekommt dieses einen ersten Eindruck davon, wie intensiv der Abend noch werden wird. Nach dem Prolog hebt sich der Vorhang und eröffnet den Blick auf das Einheitsbühnenbild von Herbert Buckmiller: Ein Schlafsaal in einem Irrenhaus der viktorianischen Zeit. Links und rechts stehen schäbige Betten, die nur durch schmutzige, zerschlissene Vorhänge voneinander getrennt sind. Die meisten Zu- und Abgänge auf die Bühne erfolgen über diese Parzellen, indem die Figuren sich in eines der Betten begeben und den Vorhang, der sie vor den Blicken ihrer Mitpatienten schützen soll, zuziehen. Wenn Mrs. Lovett ihren Teig knetet, ist dieser ein staubiges Kissen auf einem der Betten.
Kostüme und Make-Up (Anette Mahlendorf) nehmen den Look des Bühnenbilds auf und tragen sehr gut zur Grundstimmung der Inszenierung bei. Die dominierenden Farben sind auch hier schwarz und weiß – ein sehr schmutziges und heruntergekommenes Weiß. Die Inszenierung strotzt nur vor tollen Ideen: Anstatt blutrünstig zu zeigen, wie Sweeney seinen Feinden die Kehlen durchschneidet, sitzen diese auf ihrem jeweiligen Bett, Sweeney setzt sein Rasiermesser an und seine Opfer stehen auf, ziehen ihre Jacke aus und verlassen die Bühne. Kurz darauf öffnet sich der Bühnenboden und das Bett fällt mit lautem Getöse in einer Staubwolke unter die Bühne.
Bemerkenswert an dieser Inszenierung ist, dass sie mit Ausnahme des Darstellers des Pirellis komplett mit dem hauseigenen Ensemble besetzt ist und in jeder der neun Rollen voll überzeugt: Volker Ringer als Richter Turpin hat eine in jeder seiner Gesten und Blicke mitschwingende latente Aggression die seine Rolle enorm überzeugend wirken lässt. Ralf Hocke ist ein unterwürfiger Büttel Bamford, Kerstin Maus eine überzeugende irre Bettlerin. Maurice Daniel Ernst gibt seinen Tobias, den Gehilfen Pirellis mit einer großartigen Naivität, die auf eine ganze eigene Art ebenfalls immer bedrohlicher wird. Sein “Nichts kann euch geschehn” (Not While I’m Around), einer der wohl bekanntesten Songs Sondheims, trifft direkt ins Herz. Als junges Liebespaar Johanna und Anthony stehen Carolin Waltsgott und Benjamin Muth auf der Bühne. Waltsgott kann ihrer von Buch und Komponisten etwas vernachlässigter Rolle trotzdem jede Menge Charakter abgewinnen. Benjamin Muth singt mit einer außergewöhnlichen und sehr wohligen Stimme seine Rolle. Andrea Matthias Pagani, der einzige Gast im Ensemble, ist ein herrlich widerlicher Pirelli, der immer im richtigen Moment seinen italienischen Akzent, nicht nur mit seiner Stimme, sondern gefühlt mit seinem gesamten Körper, einsetzt.
“Sweeney Todd” steht und fällt natürlich mit der Besetzung der beiden Hauptrollen. Dominique Bals ist als wütend rachsüchtiger Sweeney eine Naturgewalt! Sein Schauspiel ist nuanciert: Weich und zärtlich, wenn er an seine Frau und an Johanna denkt, aufbrausend und unerbittlich im Kamp gegen seine alten Widersacher und immer ein bisschen brummig im Kontakt mit Mrs. Lovett. Genauso wandlungsfähig wie sein Schauspiel ist auch seine großartige Stimme. Cornelia Löhr versteht es, ihre Mrs. Lovett zum Schießen komisch anzulegen, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. Wie ein Wirbelwind fegt sie über die Bühne und hat Sweeney immer in der Hand. Doch nicht nur in den skurril witzigen Momenten wie bei “London schlimmste Pasteten” und “Nehmt Prälat”, sondern auch wenn am Ende des Stückes die wahre Identität der Bettlerin zu Tage kommt, überzeugt Löhr mit einer ganz feinen Mimik.
Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im Orchestergraben nehmen weniger Musiker in dieser Fassung Platz. Unter der Leitung von Michael Falk spielen die Mitglieder der Hofer Symphoniker die komplexen Sondheim’schen Melodien mit der richtigen Mischung aus Tempo und Dramatik. Die Tonregie leistet am Premierenabend ebenfalls ganze Arbeit: Die Abmischung zwischen Orchester und Cast ist sehr gelungen, was bei einem Stück wie “Sweeney Todd”, dass auch schon allein wegen seiner tollen Texte in der neuen Übersetzung von Wilfried Steiner und Roman Hinze hörenswert ist, enorm wichtig ist.
Ein letztes Mal zeigt Reinhardt Friese mit dieser Inszenierung, dass Stadttheater mittlerweile auch Musical kann. Ohne Zweifel kleiner als das aktuelle Broadway-Revival, aber auf keinen Fall weniger beeindruckend.
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