"Diana" Promo Poster / Key Art © Netflix
"Diana" Promo Poster / Key Art © Netflix

Diana - The Musical
Netflix Live-Aufzeichnung / 2021

Von den Kritikern am Broadway verschmäht, mit dem Hohnpreis “Goldene Himbeere” überhäuft und auch im Netz von vielen Zuschauern schlecht bewertet hat das Musical über die ehemalige Princess of Wales auf Netflix  in der Pandemiezeit nach “Hamilton” auf Disney+ einen Startschuss für Bühnenmusicals im Streaming-Service gegeben. Doch eigentlich ist das Musical in der Videoaufnahme mit starken Hauptdarstellern gar nicht so schlecht.

Das Buch des Memphis-Erfolgsautoren Joe DiPietro und die Songs von Bon-Jovi-Star David Bryan ließen eine aussichtsreiche Produktion erwarten. Christopher Ashley, der künstlerische Leiter des renommierten La Jolla Playhouse, führte Regie. Die pandemiebedingt verschobene und später aufgrund vernichtender Kritiken eingestampfte Broadway-Show wurde indes von Netflix verfilmt. Das Musical erzählt Dianas Geschichte vom Kennenlernen des Thronfolgers über ihre Ehe mit Charles, der Geburt ihrer Söhne, beleuchtet exzessiv den Rosenkrieg im Hause Windsor und endet mit Dianas Verkehrsunfall. DiPietros Buch ist plakativ und mit Plattitüden gefüllt, behält aber im Großen und Ganzen den roten Faden und zeichnet ein nachvollziehbares, chronologisches Bild durch mehr als ein Jahrzehnt von Dianas Leben. Die Figurenzeichnung ist alles andere als facettenreich – so werden die Hauptfiguren zumeist auf ein oder zwei Charaktereigenschaften beschränkt. Charles ist einerseits schwärmend für Camilla und andererseits aufgesetzt und distanziert zu Diana, der er sich launisch gegenüber verhält. Camilla wird als selbstlos und sehnsüchtig gezeichnet, während Königin Elizabeth II. augenscheinlich als Fels in der Brandung über den Dingen schwebt und nur die Stabilität ihrer Linie im Sinn trägt. Sensationsgeile Reporter sind die große Bedrohung innerhalb des Stücks und Figuren wie Dianas Liebhaber James Hewitt oder die Trivialromanautorin Barbara Cartland fungieren als Comic Relief. Diana selbst wird als tief unsichere, fragile Persönlichkeit, der nur ihr Zusammensein mit ihrem Prinzen im Sinn liegt, charakterisiert, woraus sie sich zwar am Ende emanzipatorisch befreit, aber dann sofort ihren jähen Tod findet.

Die Kompositionen hingegen sind sehr eingängig und aufgrund der einprägsamen und beschwingten Melodien mit überdurchschnittlich vielen Refrain-Passagen nahezu allesamt Ohrwürmer. Einige melodiös bewegende Balladen wie I miss you most on Sundays sind außerdem im Score enthalten. Die große Kehrseite an den Songs ist nicht die Musik selbst, sondern die zum Großteil sehr pathetischen Texte im Reim-Dich-Oder-Ich-Fress-Dich-Schema. Man könnte schier endlos viele Zitate von Stirnrunzeln hervorrufenden Texten angeben: Diana trägt nach der Trennung von Charles ein Fuckety fuckety fuck you Dress, begrüßt ihren Sohn Harry auf der Welt mit My ginger head son, you’ll always be second to none und es entspannt sich der Thrilla in Manila with Diana and Camilla, um ein paar Beispiele aufzuzeigen. Innerhalb der englischsprachigen Musicalszene taucht in der Beschreibung der Lyrics zurecht oftmals das Wort camp auf. Glücklicherweise sind nicht alle Songtexte durchgängig von Pathos durchzogen und es gibt in Form des Anfangssongs Underestimated oder dem Song der Königin An Officer’s Wife durchaus gelungene, wenn auch nicht lyrisch wertvolle, Passagen zu verzeichnen.

Das Bühnenbild, die Kostüme und die Choreographien sind auf der Haben-Seite dieser Produktion. Durch die hervorragende filmerische Arbeit für Netflix wird die Detailtreue der Kleider, vor allem der Mitglieder des Königshauses und Dianas ikonische Roben, sehr deutlich bewertbar. Kostüme der eher komisch angelegten Figuren wie Barbara Cartland wirken trotzdem stets inspiriert und originalgetreu. Das hochmotivierte und tänzerisch überwältigend performende Ensemble brilliert in jeder Nummer mit den dynamischen Tanzabläufen, die durch die aus vielen Blickwinkeln aufgenommenen Sequenzen im Netflix-Film noch deutlich an Schwung gewinnen. Die performative Seite des Musicals hat im Gegensatz zur konzeptionellen Arbeit der Kreativen am Stück durchaus Weltklasse-Niveau. Die Darsteller strahlen in jeder noch so kleinen Rolle, seien es die Aids-Patienten, die Diana im Song Secrets and Lies besucht oder die investigativen Reporter in Snap Click.

Unfair ist die schlechte Bewertung der Darsteller, die allesamt stimmliche Weltklasse präsentieren und den Gegebenheiten des katastrophalen Buches zu trotzen versuchen. Judy Kaye in ihrer Doppelrolle als Königin Elizabeth und Autorin Cartland kann zwei konträre Figuren ausspielen. Die Queen erfüllt sie mit Ehrfurcht gebietender Präsenz, die nur am Ende mit Officer’s Wife einmal Einblick in ihr persönliches Schicksal gewährt, ohne ihre stoische Erhabenheit zu verlieren. Cartland, die beim Rosenkrieg der Windsors als eine Art Erzählerin fungiert, spielt sie schrullig und campy. Roe Hartrampf hat nicht nur optische Ähnlichkeiten mit dem jungen Charles, sondern hat dessen Körpersprache scheinbar gemeistert. Seine hohe Tenorstimme könnte vom Original nicht ferner sein, doch überzeugen seine virtuose, poppige Stimmführung und die emotionsreicheren Szenen seines Schauspiels, beispielsweise im wütenden The Rage. Erin Davie gefällt als Camilla Parker-Bowles auf ganzer Linie sowohl schauspielerisch als auch stimmlich. Ihre vom starken Vibrato getragene Stimme verleiht ihren Songs eine besondere Wärme, die in I miss you most on Sundays besonders zur Geltung kommt. Jeanna De Waal muss als Diana in ganzen 14 Songs im Rampenlicht stehen. Stimmlich ist De Waal ein Ausnahmetalent. Die intensiv gebelteten Lieder ihrer Figur meistert sie spielerisch und wechselt zwischen zarten Tönen und rauer Rockröhre in beeindruckender Weise. Optisch kommt sie Prinzessin Diana einigermaßen nahe und sie erfüllt alle Klischees der Rolle, allerdings ohne sich dabei schauspielerisch selbst entfalten zu können. Dies gelingt ihr dafür umso mehr stimmlich in den Songs I Will oder Simply Breathe, in welche sie all ihr gesangliches Gefühl und Stimmvolumen setzt. Mit ihrer Bühnenpräsenz gelingt es ihr, das Stück zu tragen und die Figur im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu portraitieren.

Nicht das beste Broadway-Musical, das je geschrieben wurde, das ist zuzugeben. Dennoch sind viele Zutaten dieses Werks durchaus gelungen und erlauben die Schlussfolgerung: Also, so schlecht ist Diana auch wieder nicht!

 
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