Denis Riffel (Evan Hansen) © Rudi Gigler
Denis Riffel (Evan Hansen) © Rudi Gigler

Dear Evan Hansen (seit 03/2024)
Stadttheater, Fürth

Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
 

Die Angststörung eines Jugendlichen in den Mittelpunkt eines Musicals zu stellen, ist ein ziemlich mutiges Unterfangen. Umso bemerkenswerter, dass “Dear Evan Hansen” am Broadway und im West End zu einem der erfolgreichsten Stücke der vergangenen Jahre wurde und mit einem regelrechten Preisregen – unter anderem sechs Tonys und drei Olivier Awards – überschüttet wurde. Dem Musical Frühling Gmunden ist es in diesem Jahr gelungen, sich die Rechte an der Deutschsprachigen Erstaufführung zu sichern und mit ihrer intensiven und aufwühlenden Inszenierung Grundsteine für zukünftige Produktionen zu legen.

Im Interview mit der musicalzentrale äußern die beiden Intendanten des Musical Frühlings die Hoffnung, dass “Dear Evan Hansen” Jugendliche ansprechen und ins Theater ziehen wird. Und tatsächlich ist das Publikum der besuchten Vorstellung deutlich verjüngt im Gegensatz zu den Vorjahren. Das mag zum einen tatsächlich an der eingängigen und modernen Musik von Benj Pasek und Justin Paul liegen – das Cast-Album der Broadway-Produktion ist eines der wenigen Musical-Alben, das in den US-Billboard-Charts vertreten war – zum anderen scheint die Thematik tatsächlich auch junges Theaterpublikum anzusprechen.

Obwohl “Dear Evan Hansen” nicht damit geizt, seine Titelfigur in seiner größten Verletzlichkeit zu zeigen, driftet die Geschichte zu keinem Moment ins Rührselige ab. Gerade der erste Akt erzählt enorm stringent, wie Evan sich mehr und mehr in sein Lügenkonstrukt – dass er der beste Freund Connors war, der sich umgebracht hat – verstrickt und sich der Druck auf Evan sich immer weiter erhöht, immer neue Lügen zu erfinden, um seine Umgebung zufriedenzustellen. Die Musik ordnet sich bei “Dear Evan Hansen” komplett der Geschichte unter. Beinahe kein Song wird ausgespielt ohne eine Unterbrechung, in der die Handlung weitergetrieben wird. Stellenweise wirkt das Stück dadurch eher wie ein Schauspiel mit Musik und weniger wie ein Musical.

Markus Olzinger, der neben der Intendanz des Musical Frühlings auch noch für Regie und Bühnenbild zuständig ist, hat eine geschickte Bühne entworfen, die mit wenigen, aber wirkungsvollen Requisiten auskommt. Evans Zimmer wird durch ein fahrbares Eisengestell mit Bett dargestellt, das in den entsprechenden Szenen ferngesteuert auf die Bühne fährt und an dem sich der aus dem Jenseits zurückkehrende – und nur für Evan sichtbare – Connor in schön anzusehenden Choreografien (Wei-Ken Grosmann-Liao) entlangschwingt. Die Wohnung der Murphys, der wohlhabenden Familie aus der Connor stammt, erscheint hinter einer sich nach oben und unten fahrenden gelben Bühnenwand. Nach hinten begrenzt wird die Bühne durch eine LED-Wand, auf die zum einen das Geschehen auf Social-Media rund um die Handlung dargestellt wird, zum anderen die Video-Calls Evans mit den anderen Figuren der Geschichte gezeigt werden. Dabei entstehen eindrucksvolle Momente, die eigentlich nur im Film möglich sind: Wenn Alana (Vanessa Heinz) im Video-Call Evan langsam auf die Schliche kommt und immer vehementer nach den unschlüssigen Details der angeblichen Mails zwischen Evan und Connor nachfragt, ist ihr Blick, mit dem sie über die Handy-Kamera direkt ins Publikum schaut, dermaßen bohrend, dass Evans Unwohlsein in dieser Situation hautnah spürbar wird. Durch die Kostüme von Elisabeth Sikora und das Make Up von Renate Harter werden die Darstellerinnen und Darsteller überzeugend ins richtige Spielalter versetzt.

Besetzt sind die Rollen der Show teilweise mit in Gmunden bereits bekannten Gesichtern wie Yngve Gasoy Rodal in der Rolle Larry Murphys oder Michaela Thurner als dessen Tochter Zoe und teilweise mit neuen Gesichtern. Allen acht Darstellerinnen und Darsteller gemein ist, dass sie, neben ihren durchweg hohen gesanglichen Qualitäten, ihre Rollen schauspielerisch mit großer Glaubwürdigkeit darstellen. Sei es der Streit zwischen den Conners Eltern Cynthia (Annemieke van Dam) und Larry (Yngve Gasoy Romdal), wer letztendlich die Warnzeichen des sich ankündigenden Suizids ihres Sohnes nicht gesehen und adäquat reagiert hat, oder auch die Szene in der Evans Mutter Heidi (Anna Thoren) völlig entsetzt das Angebot der Conners ablehnt, für Evans Studium aufzukommen und daraufhin mit Evan in Streit gerät.

Am Gmundener Evan Denis Riffel müssen sich vermutlich die Evans nachfolgender Inszenierungen messen lassen: Denis Riffel lebt diese Rolle mit jeder Faser seines Körpers. Sein Minenspiel, wenn er in einem Moment noch alle Probleme verlegen weglächelt und im nächsten Moment unter Tränen zusammenbricht, sowie seine gesamte Körperhaltung und Gestik sind dermaßen intensiv, dass es beinahe – im positivsten Sinne des Wortes – nicht aushaltbar ist, ihm zuzusehen. Wenn Evans immer mehr unter Druck schließlich zugibt, dass seine gesamte Geschichte erlogen ist und alle nach und nach die Bühne verlassen und er sich völlig allein auf der Spielfläche stehend die Frage stellt, ob er mit all seinen Fehlern jemals geliebt werden könne, wünscht man sich im Publikum sitzend, dass diese Szene endlich enden möge, so sehr geht sie unter die Haut. Die Besetzung der Mitschüler Evans sorgt dafür, dass sich jeder im Publikum mit der Geschichte auf die eine oder andere Art identifizieren kann, weil jeder diese Typen kennt: Savio Byrczak ist ein toller nerdiger – und auf eine seltsam verschrobene Art und Weiße liebenswerter – Jared, der sich nie so recht entscheiden kann, ob er nun ein Freund von Evan ist oder nicht; Vanessa Heinz in der Rolle der anstrengenden, streberhaften Alana, Jelle Wijgergangs als Bully Conner und Michaela Thurner als reiche Tochter der Murphys, die aber immer wegen ihres Bruders hintenanstehen muss. Dank der Besetzung dieser Show mit ihrem fantastischen Spiel gelingt es mühelos, über die eine oder andere Länge im zweiten Akt der Geschichte sowie über die teilweise hölzern klingenden Übersetzungen, die sich an einigen Stellen einfach zu nah am englischen Original bewegen, anstatt entsprechende Bilder auf Deutsch zu finden, hinwegzukommen.

Die achtköpfige Band unter der Leitung von Jürgen Goriup spielt die Melodien der Show mit dem genau richtigen Drive und wechselt sehr gut zwischen laut und poppig und leise und sensibel. Die Tontechnik sorgt mit exzellenter Aussteuerung dafür, dass auch in den musikalisch lauten Szenen sowohl die Darsteller auf der Bühne als auch die einzelnen Instrumente gut und klar verständlich bleiben. 

Dem Musical Frühling Gmunden gelingt mit seiner intensiven Inszenierung von “Dear Evan Hansen”, den Finger beeindruckend in eine gesellschaftspolitische Wunde zu legen: Der immer höher ansteigenden Zahl von Jugendlichen, die aus verschiedensten Gründen, aber nicht zuletzt aus einem immer höher kletternden sozialen Druck in ernsthafte psychische Probleme kommen. Spannend wird sicherlich sein, zu beobachten, wie sich das Stück zukünftig im deutschsprachigen Raum entwickelt und welche Bühnen sich an diese nicht ganz leichte Kost trauen. Die Gmundener Inszenierung jedenfalls wird im Rahmen der Kooperation mit dem Stadttheater Fürth im Herbst ebenfalls ihre deutsche Erstaufführung erleben.

 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
KREATIVTEAM
BuchSteven Levenson
Musik und GesangstexteBenj Pasek
Justin Paul
ÜbersetzungNina Schneider
Regie & BühnenbildMarkus Olzinger
Musikalische LeitungJürgen Goriup
ChoreografieWei-Ken Liao
KostümbildElisabeth Sikora
LichtdesignIngo Kelp
TondesignRoland Baumann
Visual ArtistsVAME
MaskeRenate Harter
KorrepetitionTomáš Küfhaber
RegieassistenzLaura Luisa Hat
KostümassistenzStephanie Thun-Hohenstein
 
Kurz­bewertungRezen­sionKreativ­teamCastTer­mi­neTermi­ne (Archiv)
CAST (AKTUELL)
Evan HansenDenis Riffel,
(Chris Green)
Heidi HansenAnna Thorén
Zoe MurphyMichaela Thurner,
(Tara Friese)
Cynthia Murphy
(Spielzeit in Gmunden)
Annemieke van Dam,
(Anna Thorén)
Cynthia Murphy
(Spielzeit in Fürth)
Monika Maria Staszak
Larry MurphyYngve Gasoy Romdal
Jared KleinmanSavio Byrczak
Connor MurphyJelle Wijgergangs,
(Jonathan Hamouda Kügler)
Alana BeckVanessa Heinz,
(Tara Friese)
  
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TERMINE
Fr, 11.10.2024 19:30Stadttheater, FürthStandortpremiere
Sa, 12.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
So, 13.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
Di, 15.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
Mi, 16.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
Do, 17.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
Fr, 18.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
Sa, 19.10.2024 19:30Stadttheater, Fürth
So, 20.10.2024 16:00Stadttheater, Fürth
 
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TERMINE (HISTORY)
Fr, 22.03.2024 19:30Stadttheater, GmundenPremiere
Sa, 23.03.2024 19:30Stadttheater, Gmunden
So, 24.03.2024 19:30Stadttheater, Gmunden
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