Kurzbewertung | Rezension | Kreativteam | Cast | Galerie | Termine | Termine (Archiv) |
Die sozialkritischen Botschaften der “Dreigroschenoper” sind auch fast 100 Jahre nach dihrer Uraufführung noch hochaktuell. Dem Epischen Theater nicht fremd, bringt die Münsteraner Inszenierung singende Schauspieler in Verlegenheit neben bekannten und immer wieder neu aufgelegten Hits aus den Goldenen Zwanzigern auch Opernarien-parodierende Synkopen zu interpretieren. Manchmal etwas zu schrill und oft sehr albern gestaltet dies das Ensemble unter der musikalischen Leitung von Bettina Ostermaier. Sebastian Schug als Regisseur macht die “Ballade von der sexuellen Hörigkeit” zum Kernthema seiner Inszenierung.
Die Sexualisierung nahezu jeder Szene unter Schugs Regie wirkt nicht nur überspitzt, sondern kommt teilweise recht ordinär daher. Die Frage danach, wieviel denn zu viel sei, wird hier für manch einen beantwortet. Zweifelsohne hat sich die Gesellschaft seit der Entstehung der “Dreigroschenoper” zunehmend enthemmt. Das Thema Sex – so könne man meinen – hat heute kaum mehr das Potenzial zur Provokation . Doch diese These wird hier widerlegt. Ob die Beweisführung allerdings derart vulgär ausufern muss, ist fraglich. Die ständige Hand im Schritt der männlichen Figuren, das spritzende Kunstblut während der Hochzeitsnacht, in der sich die gesamte Gangsterschaft um Macheath an der jungen Frau vergeht, der Blowjob oder die Gruppensex-Szenen – an Anstößigkeiten mangelt es der Inszenierung von Sebastian Schug keineswegs.
Dagegen wirken die Besetzung der Hurenfiguren durch Männer, der Gangsterbande durch Frauen oder der von einer Schauspielerin (Samia Dauenhauer) dargestellte Polizeichef Brown im Zeitalter der Diversität eher modern als verfremdet. Dass die angestrebte Verfremdung auch heute mit wenig Mitteln und ohne Abdriften ins Vulgäre möglich ist, wird schließlich am Ende aufgezeigt, als Macheath während des Epilogs kurz vor dem Finale noch zu gendern beginnt.
Das funktionale Bühnenbild von Jan Freese wirkt auf den ersten Blick lieblos zusammengeschustert mit seinen auf einfachen Schnüren aufgezogenen Glitzervorhängen, Deko-Palmen und dem Laderaum eines Lasters, ist aber dem Stück und seiner Intention angemessen und dient schnellen Umbauten. Nichts auf der Bühne will augenscheinlich schön sein bis auf den überdimensional großen Mond, der Zeuge der Liebe zwischen Macheath und seiner Braut Polly wird, sie aber gleichzeitig infrage stellt und verspottet.
Da Ausstattung und Requisiten von Kathrin Land, Kai Schubert und Rolf Timpert auf das Nötigste beschränkt sind und dem Bettlertum entsprechend alt, abgenutzt und dreckig wirken, unterstreicht dies die offensichtliche Asozialität der dargestellten Subkultur.
Die Kostüme von Nico Zielke passen ebenfalls in das schäbige Milieu. So wirkt es doch glaubhaft, dass Polly – Elzemarieke de Vos – als Tochter des Ganoven Peachum und heimliche Braut des Verbrechers Macheaths, recht mittellos dasteht und im provisorisch arrangierten Hochzeitsfummel auftritt. Das herausgeputzte Bürgertum im Zuschauersaal grenzt sich hier deutlich ab.
Schauspielerisch überzeugen vor allem Elzemarieke de Vos als Polly ebenso wie Samia Dauenhauer als Polizeichef Brown: Im Sinne der Verfremdung aus der Rolle heraustretend, belehrend mittels überdeutlicher Artikulation, bringen besonders diese beiden Darstellerinnen die Intentionen des Brecht’schen Theaters auf den Weg. Die Figuren werben so zunächst um Mitgefühl – um im Anschluss dem Publikum den Spiegel vorzuhalten, beispielsweise als Dauenhauers Polizeichef durch die Reihen geht und einzelne Zuschauer abführen will. Irritiertes Lachen hallt durch den Theatersaal.
De Vos stellt ihre Rolle der Polly sehr authentisch als Opfer ihrer eigenen Geschichte dar. Da sie selbst aus zwielichten Kreisen stammt, musste sie Mackie verfallen, auch wenn sie nicht die Einzige ist, die er beglückt. Mit viel Gefühl engagiert sie sich, das Publikum von ihrer menschlichen, sehr sensiblen Seite zu überzeugen, auch wenn sie sowohl den Eltern (“Ja, da muß man sich doch einfach hinlegen”) als auch ihrer Nebenbuhlerin Lucy – Rose Lohmann – gegenüber im “Eifersuchtsduett” weniger zarte Saiten anschlägt. Jede große Dramatik kauft man ihr ab.
Julius Janosch Schulte als Macheath wirkt neben den großen Damen der Produktion blass in der Stimme und monoton im Spiel. Auch Artur Spannagel als Peachum kommt wie ein Mitläufer im Ensemble daher und spielt mit wenig Leidenschaft.
Insgesamt spielen die Damen des Ensembles allesamt ihre männlichen Mit- und Gegenspieler an die Wand und stecken diese auch gesanglich in die Tasche: Allen voran bestehen Katharina Brenner als Celia Peachum und Rose Lohmann als Lucy jeweils auch die Arien des Stücks, die laut Komponisten Weill keine sein wollen, sondern eben Parodien jener.
Im Dialog, gesprochen oder gesungen, wird während des gesamten Stücks auf saubere Artikulation nicht so genau geachtet: Die Stimmen klingen, oft durch Emotionen stark gefärbt, undeutlich und strapazieren manchmal die Tontechnik (Eugen Hauzel und Johannes Koch).
Aus dem Orchestergraben ertönt die rundum gelungene Interpretation der Partitur aus der Feder Weills unter der Leitung von Bettina Ostermeier. Bei dem zehnköpfigen Jazz-Ensemble sitzt jeder Ton. Eine Freude für die Ohren, wären da nicht die oft zu schrillen Töne der Schauspieler.
Ein Kennenlernen der Dreigroschenoper lohnt hier, da die charakteristischen Elemente des Epischen Theaters alle gut untergebracht sind. Auch die Thesen Brechts, dass jeder Mensch edle wie dunkle Eigenschaften habe, ein Schwarz-Weiß-Denken eben doch zu kurz gedacht sei und der Kapitalismus den Charakter zerstöre, ganz gleich, welches Schicksal der Einzelne tragen möge, werden unterhaltsam transportiert. Musikliebhaber kommen jedoch durch die streckenweise recht wackeligen Stimmen der Darsteller nicht auf ihre Kosten.
Kurzbewertung | Rezension | Kreativteam | Cast | Galerie | Termine | Termine (Archiv) | |||
KREATIVTEAM |
---|
Inszenierung | Sebastian Schug |
Musiklische Leitung | Bettina Ostermeier |
Bühne | Jan Freese |
Kostüme | Nicole Zielke |
Kurzbewertung | Rezension | Kreativteam | Cast | Galerie | Termine | Termine (Archiv) | |||
CAST (AKTUELL) |
---|
Macheath, genannt Mackie Messer | Julius Janosch Schulte |
Jonathan Jeremiah Peachum, Besitzer der Firma "Bettlers Freund" u. a. | Artur Spannagel |
Celia Peachum, seine Frau | Katharina Brenner |
Polly Peachum, seine Tocheter | Elzemarieke de Vos |
Brown, oberster Polizeichef von London u. a. | Samia Dauenhauer |
Lucy, seine Tochter u. a. | Rose Lohmann |
Die Spelunken-Jenny u. a. | Nadine Quittner |
Filch / Hakenfinger-Jakob u. a. | Christian Bo Salle |
Münz-Matthias u. a. | Ilja Harjes |
Kurzbewertung | Rezension | Kreativteam | Cast | Galerie | Termine | Termine (Archiv) | |||
GALERIE |
---|
Kurzbewertung | Rezension | Kreativteam | Cast | Galerie | Termine | Termine (Archiv) | |||
TERMINE |
---|
Fr, 20.09.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | Wiederaufnahme |
Kurzbewertung | Rezension | Kreativteam | Cast | Galerie | Termine | Termine (Archiv) | |||
TERMINE (HISTORY) |
---|
Sa, 02.12.2023 19:30 | Großes Haus, Münster | Premiere | |||||||
Mi, 06.12.2023 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Sa, 16.12.2023 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
▼ 12 weitere Termine einblenden (bis 20.04.2024) ▼ | |||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Mi, 20.12.2023 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
So, 31.12.2023 14:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
So, 31.12.2023 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Do, 11.01.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Di, 30.01.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
So, 04.02.2024 16:00 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Fr, 09.02.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Sa, 02.03.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Fr, 22.03.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
So, 24.03.2024 19:00 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Di, 02.04.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | ||||||||
Sa, 20.04.2024 19:30 | Großes Haus, Münster | zum letzten Mal 2023/24 | |||||||
▲ Termine ausblenden ▲ |