Noch lange bevor das Musicaltheater mit Stücken wie “Little Big Things” das Thema Inklusion für sich entdeckt hat, schuf Adam Guettel ein Musical, das die Behinderung seiner Hauptfigur und den Weg, den die Mutter gehen muss, um ihre Tochter als eine erwachsene Person anzuerkennen, in den Mittelpunkt stellt. Nicht ganz einfache Kost – in der Inszenierung von Melissa King, die dem Stück die genau richtige Langsamkeit verordnet, und der Konzentration auf das Innenleben seiner Figuren ist “Das Licht auf der Piazza” in der intimen BlackBox des Landestheaters Linz bestens aufgehoben.
Mit “Das Licht auf der Piazza”, welches 2005 für 11 Tony Awards nominiert war, von denen es immerhin 6 Auszeichnungen, unter anderem für die beste Musik und beste Orchestrierung, gewann, hat sich das Landestheater Linz einmal mehr die Rechte für eine österreichische Erstaufführung sicher können. Neben dem in letzter Zeit immer relevanter werdenden Thema ist “Das Licht auf der Piazza” auch wegen seines Komponisten eine interessante und spannende Wahl: Adam Guettel ist der Sohn der Komponistin Mary Rodgers (“Once Upon a Matress”) und der Enkel des Broadway-Urgesteins Richard Rodgers. Guettel findet für seine Geschichten allerdings einen ganz eigenen musikalischen Stil, der nur noch wenig mit seinen berühmten Ahnen zu tun hat. Die Musik zu “Das Licht auf der Piazza” erinnert an vielen Stellen eher an Sondheim als an Rodgers. Diesen modernen, beinahe schon avantgardistischen Stil greift auch die Optik der Inszenierung in Linz auf: Das Bühnenbild besteht aus verschiedenen Quadern, die aufgetürmt mal ein Kunstwerk in Florenz oder Rom darstellen, mal als Stühle und Tische einer Kaffeetafel dienen. Handlungsorte werden mittels Projektionen schemenhaft angedeutet. Ausgeleuchtet wird die Inszenierung von Michael Grundner, der es mit seiner Arbeit vermag, die Stimmung eines Sonnuntergangs in Florenz ebenso in die Blackbox zu bringen wie die Bedrohlichkeit dunkler römischer Seitenstraßen in der Nacht. Die sehr schön anzusehenden und hochwertig wirkenden Kostüme von Judith Peter verorten die Geschichte in die frühen 1950er Jahre. Die Reduktion der Ausstattung auf das Notwendigste führt den Fokus der Inszenierung noch viel mehr auf die Protagonisten der Geschichte, denen die Inszenierung Melissa Kings viel Raum und Zeit lässt, ihre Handlungen und Motivationen zu reflektieren. Nicht nur, dass die Szenen immer wieder für kurze Momente einfrieren und sich eine der Figuren erklärt, häufig passiert sekundenlang sprichwörtlich nichts außer Mimik auf der Bühne. Diese entschleunigte Erzählweise des Musicals ist es, die “Das Licht auf der Piazza” in Linz auszeichnet. Mit der Zeichnung der Hauptfigur Clara, die nach einem Unfall als Jugendliche eine geistige Behinderung davon getragen hat, bietet Melissa King auch eine moderne Sichtweise auf Menschen mit Behinderung: Claras Verhalten ist zwar nicht immer so, wie es allgemein zu erwarten wäre. Auf eine “Darstellung” der Behinderung verzichtet sie allerdings, so dass Clara in der Linzer Inszenierung eine auf den ersten Blick gewöhnliche junge Frau ist.
Erzählt wird die Geschichte größtenteils von den drei Hauptfiguren: Clara verliebt sich in Fabrizio, einen jungen Italiener Ihre Mutter Margaret versucht anfänglich die Liebe der beiden zu unterbinden, um ihre Tochter zu schützen bis sie bemerkt, dass sie Clara nur dann als eigenständige Person anerkennen kann, wenn sie sie freigibt. Valerie Luksch ist eine bezaubernde und vor allem komplett glaubwürdige Clara. Sie stürzt sich mit viel Spielfreude in ihre Liebesbeziehung zu Fabrizio und singt ihre anspruchsvollen Songs mit glockenklarem Sopran. Sarah Schütz als ihre Mutter überzeugt durch ein facettenreiches Spiel. Einerseits ist sie die besorgte Mutter, andererseits kommentiert sie das Geschehen mit einem großartigen Sinn für Komik. Sie beherrscht es auch ohne ein Wort zu sprechen, alles zu sagen, was gerade in ihrem Kopf vorgeht. Damit nutzt sie die Möglichkeiten, die ein kleiner Theaterraum wie die Blackbox bietet, in der das Publikum auch in den hinteren Reihen noch nah am Geschehen ist, optimal. Endlich in einer großen Rolle ist Lukas Sandmann als Fabrizio zu sehen. Voll jugendlichem Elan und italienischem Charme wirbelt Sandmanns Fabrizio über die Bühne und füllt die Rolle mit viel südländischer Emotionalität. Die Songs, die Guettel der Figur des Fabrizio zugedacht hat, singt Sandmann mit farbenreicher Stimme und großer Leichtigkeit. In den Nebenrollen als Fabrizios nicht immer treuem Bruder Giuseppe und seiner energischen Frau Franca sind Enrico Treuse und Alexandra-Yoana Alexandrova zu sehen und geben der Geschichte auch den einen oder anderen witzigen Moment. Als warmherzige Eltern Fabrizios vervollständigen Sanne Mielo und Max Niemeyer sowie Gernot Romic als Claras Vater Roy die Linzer Besetzung.
Die Musik Guettels wird von L’Orchestra “Il mondo era vuoto” auf der Seitenbühne gespielt. Das Orchester, bestehend aus Violine, Cello, Kontrabass, Harfe und einem Klavier klingt schwelgerisch und steht in einer guten Abmischung zwischen seinem Sound und den Stimmen auf der Bühne.
Mit “Das Licht auf der Piazza” ist in der BlackBox ein Musical zu sehen, das in vielen Punkten ganz anders ist als die Shows, die im Großen Haus des Landestheaters Linz, aber vor allem auch in den großen Musical-Tempeln zu sehen sind. Eine wirkliche Rarität und ein Geheimtipp!
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