“Tanz der Vampire” begeistert seit seiner Uraufführung vor über einem Vierteljahrhundert in Wien nun wieder sein Publikum in der Musical-Metropole Hamburg. Diesmal gastieren Roman Polanskis Vampire im Operettenhaus an der Reeperbahn. Es scheint für den Auftritt des Grafen von Krolock und seiner Gefolgschaft kaum einen passenderen Spielort im deutschsprachigen Raum zu geben – auf der berüchtigten Rotlicht- und Partymeile der Nation. Stage Entertainment setzt auf bewährte Inszenierungselemente und rückt die schillernden Nachtwesen ohne großes Risiko erneut ins rechte Licht. Sämtliche Gäste und Fans des Mitternachtsballs haben allen Grund zu feiern!
Stage Entertainment füllt die Lücke im Spielplan des Operettenhauses mit Leichtigkeit aus und bedient mit “Tanz der Vampire” die hohe Nachfrage des Publikums. Erfahrung in Inszenierung und Regie paart sich mit der Erfahrung vorangegangener Spielzeiten zahlreicher Darsteller und vermittelt somit ein leichtes Spiel auf der Bühne. Die Wiederaufnahme des zeitlosen Stückes über eine düstere Ewigkeit ist gelungen. Kleine Abstriche sind für Liebhaber der Musik in Kauf zu nehmen, denen Inszenierungen von “Tanz der Vampire” mit einem großen Orchester bekannt sind. Mithilfe moderner Technik lässt sich viel ausgleichen, was auch der Zweitbesetzung hier und da zugutekommt, sodass der Unterhaltungswert vollkommen erhalten bleibt und das Publikum ins mystische Transsylvanien entführt wird.
Das Operettenhaus hat eine Sitzreihe eingebüßt, um die Vampire inmitten der Zuschauer spielen zu lassen und das Publikum im Verlauf immer mehr und mehr in die Story hineinzuziehen: Bekannt bereits aus vorangegangenen Inszenierungen erfolgen zahlreiche Auftritte und Abgänge der Darsteller über den Zuschauerraum. Auch Gesangseinlagen erfolgen nun durch das gesamte Ensemble – nach offizieller Beendigung pandemischer Zeiten – wieder aus dem Zuschauerraum heraus und von den Logen herunter. Akustisch und optisch wie emotional ansprechend ist die Wirkung: Großartig!
Das Motiv der Vampire, die Handlung und die Texte aus der Feder von Michael Kunze sowie die Musik von Jim Steinman sind zeitlos wie bekannt. Ebenso stets passend ist das Kostümdesign von Sue Blane: Nackte Haut ist heute zwar immer weniger provokant, spielt aber weiterhin mit der Atmosphäre des Dunklen und der Erotik wie ursprünglich von Roman Polanski erdacht. Die Rokoko-Kostüme unterstreichen diesen Charakterzug des Stückes vollkommen. Nachdem die weitere Medienlandschaft mittlerweile nahezu lächerlich-sensible Vampire aus der Taufe gehoben hat, erkennt das Publikum gerade in dem starken und mächtigen Charakter des Grafen von Krolocks – Simon Loughton – den zutiefst gebrochenen Mann hinter den langen Eckzähnen, der schließlich am Ende um seine Spielpartnerin Sarah betrogen leer ausgeht. Trotz aller Tragik muss der Zuschauer nicht auf Charme und Witz der Vampire verzichten, wenn z.B. der jüdische Vampir Chagall – Oleg Krasovitskii – seine Immunität gegen das Kruzifix gekonnt humorig unter Beweis stellt oder der homosexuelle Vampir Herbert – Jonas Steppe – einem Gast unaufgefordert Avancen macht.
Da die drei wichtigsten Protagonisten von der Zweitbesetzung gespielt immer noch weitgehend überzeugen, lässt die Cast nur wenig zu wünschen übrig.
Simon Loughton kämpft als Graf von Krolock ein wenig mit den Tiefen der “Unstillbaren Gier” und der “Totalen Finsternis” gemeinsam mit seiner Spielpartnerin Nicole Klünsner als Sarah ebenso wie mit seinem Kostüm, sodass die Schattenprojektionen mit den eigenen Bewegungen nur fast übereinstimmen. Schade, dass die vielleicht bekanntesten Songs und einnehmende Bilder des Erfolgsmusicals dadurch an Ausdruck verlieren. Schauspielerisch nimmt man Lougthon vor allem die Tragik seiner Figur ab, so wirkt er jedoch weniger dunkel und verführerisch.
Klünsner, ebenso Neuling in der Cast der tanzenden Vampire wie Loughton, schlägt sich sichtlich stolz und deutlich tapferer: Ihre Leichtigkeit, die sie als Sarah in Gesang und Spiel auf die Bühne bringt, bezaubert und umwirbt nicht nur ihre Spielpartner, sondern auch ihr Publikum (“Du bist wirklich sehr nett”, Badezimmer-Szenen). Am Ende gelingt ihr glaubwürdig die Wandlung vom zarten jungen Mädchen zur reißerischen Vampir-Dame.
Jessie Vos als Professor Abronsius, dem die Rolle bereits aus der Stuttgarter Inszenierung bekannt ist, überzeugt mit Klarheit und Tempo in seinem Sprechgesang (“Wahrheit”, “Bücher”). Vos hat sichtlich große Freude an der Rolle.
Vincent van Gorp, der wie bereits in Stuttgart als Alfred auf der Bühne steht, spielt authentisch den naiven jungen Mann (“Wenn Liebe in dir ist”) und berührt in seinem Sologesang wie im Duett (“Ein Mädchen, das so lächeln kann”, “Draußen ist Freiheit”).
Anja Backus sticht als Magda trotz undankbar kleiner Rolle aus der Cast besonders heraus: Ihre Stimmfarbe ist so eindrucksvoll, dass sie den Theatersaal zum Beben bringt (“Tot zu sein ist komisch”, “Carpe Noctem”). Zunächst verleiht sie der Geliebten Chagalls eine starke Präsenz. Im späteren Verlauf zeigt sie als düstere Vampirin neben großer Sangeskunst eine besondere Wandlungsfähigkeit im Schauspiel. Großes Kompliment an die stärkste Dame der Vorstellung!
Wie es sich für den Titel des Musicals gehört, stellt der Tanz der Vampire nicht erst im Finale alles andere Geschehen auf der Bühne in den Schatten: Als Doubles der drei Hauptcharaktere geschickt integriert, tanzen die Solisten Paolo Valenti, Artem Salastelnyk und Kezia Coulson mit den Choreographien von Dennis Callahan nicht nur die “Roten Stiefel” heiß. Gleichzeitig bleibt den Darstellern in Gesang und Spiel genügend Puste für die Interpretation der Songs. Auch in “Carpe Noctem” kombinieren Valenti, Salastelnyk und Coulson gekonnt Eleganz, Akrobatik und Sexappeal und führen damit das Tanzensemble an. Düster geht es passend im Stakkato-Stil in barocken Kostümen aus der Gruft in die “Ewigkeit” weiter, bevor schließlich im Finale die als Contemporary getanzte wie rockig gesungene Einladung (“Tanz der Vampire”) auch den letzten Zuschauer im Operettenhaus ganzheitlich in ihren Bann zieht.
Die Spannung der Handlung wird durch Tanz und Musik perfekt ausgedrückt und mit gesteigertem Tempo vorangetrieben, sodass es schwerfällt, still sitzen zu bleiben. Synchronität, Spannung und Ausdruck der Tänzer erzählen die Geschichte auf einer tieferen Ebene als Musik und Schauspiel es allein könnten. Der Funke springt über und das Publikum erliegt der mysteriösen Dynamik der Vampire – sodass am Ende die Figur der Sarah jeden Zuschauer zur Identifikation einlädt und diese nicht wie ein naives junges Ding dasteht. Ein tolles Spektakel! Die Illusion, dass das Leben ein gutes als solches sei ohne dunkle Seiten zu bedienen, wird hier einmal mehr deinstalliert.
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